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Brief an Kurt Schellhammer von seinem Freund Peter Breuh, 16. Juni 1940

                      Wischau, 16.6.40, Sonntag

Lieber Kurt!

Nun liegt der Brief an Dich schon bald 14 Tage hier und ich kann ihn
nicht wegschicken, weil ich den Ort Deiner Werksamkeit vergessen
habe, einfach vergessen. So oft ich's überlege, wie das Nest heißt, es fällt
mir nicht ein! Inzwischen hab ich Walter beauftragt, sich Deine Adresse
zu besorgen oder mein Notizbuch, das ich im Urlaub vergessen oder
verloren haben muß. Vielleicht auch, wenn ich großes Glück habe, trifft
sogar mal ein Brief von Dir ein!
      Nun, so will ich die Gelegenheit ausnützen und Dir einiges wei-
tere von hier und mir zu erzählen. Lieber Kurt, was hast Du doch einen
wankelmütigen Freund! Eimal ROA (Anm. Website: ROA = Reserve Offiziers
Anwärter), dann wieder nicht, dann wieder
OA, einmal Heiratspläne, dann wieder nicht, es ist traurig spaßhaft
und ich weiß selber nicht, was damit eigentlich los ist. Heute bin ich wieder
soweit, daß ich ganz zu meinem Beruf zurückgefunden habe. Durch diese
Krisen gewinnt man eben doch immer größere Klarheit und erkennt das
Wesentliche immer besser. Denk Dir nur, ich bin von meiner Traurigkeit,
die mich nun schon seit 5 Jahren im Tiefsten nimmer verließ, losge-
kommen und habe eine neue, freudige Haltung gefunden. Und
nach dem hoffentlich baldigen Kriegsende werde ich sicher förmlich auf-
leben. Näheres zu schreiben wäre zu umständlich, es sei nur noch ge-
sagte, daß ein großes Teil meiner Umgestaltung auf Umweg über
Gisela erteilt wurde. Seltsam, wieviel einem Gott schenken kann, gerade
durch ein Mädchen hindurch, auf das man verzichtet hat.
      Mit der A1-Angelegenheit will ich's so halten, daß ich einfach
alles der Zukunft überlasse. Hier will ich mich anstrengen und meine
Pflicht tun, um für den Fall, daß man mich doch noch brauchte, gerüs-
tet zu sein. Geht aber der Krieg bald aus, so wird sich sicher die Gele-
genheit bieten, vom Offizier zurückzustehen. Vorausberechnen kann man
ja doch nichts, warum also soll ich mir den Kopf beschweren? Und
mich an die Front zu melden, hat mir eine innere Stimme verboten, der
ich, wie wohl es mir immer wieder schwer fällt, Folge leisten will. Das
hab ich schon erfahren, daß das immer das Beste für mich ist.

Nichtwahr, man könnt sich einigermaßen geprellt fühlen, nun schon
2 1/2 Jahre Soldat zu sein, immer zu lernen, ja andere auszubilden,
alle Übungen mitgemacht zu haben und dann bei den Kämpfen und
Siegen doch nicht mit dabei sein zu dürfen, nachher jungen Soldaten zu-
hören zu müssen, die von ihren Erlebnissen erzählen. Aber Kurt, vielleicht
gerade weil es uns beiden so leicht fiele, dort unser Leben in die Schan-
ze zu schlagen, vielleicht sind wir gerade darum nicht dabei. -
     Neulich bekam ich Post von der Front, 2 Kameraden, die mit mir
Rekruten und ständig in der Kompanie waren, sind bereits gefallen.
Ein Leutnant und ein Unteroffizier. Das mutet einem seltsam an.
     Hier zieht sich der Juni so langsam hin, seit zwei Tagen
suchen die Wolken sich auszuschütten und bleiben doch unfruchtbar,
nur dunkel brummend und murrend. Es war schrecklich schwül seit-
her, wie sich's weiter entwickelt läßt sich nicht überblicken. Hoffentlich ist's
an der Front ordentlich, daß wir bald zum endgültig vernichtenden Schlag
kommen. Paris - Verdun ! Welche Namen! Welche Siege ! Daß doch
Deutschland ihrer würdig sei! Wie muß jetzt Frankreich Versailles büßen.
     Wenn ich nur wüßte, wie Dir's geht. Dein Schweigen
macht mir ernstlich Sorge. Könnten wir doch als nur ein paar Stunden
beieinander sein, gelt, dann ginge manches besser. Aber wir werden
auch so tapfer sein. Wenn dann mal der Friede kommt, dann soll's
umso schöner werden. Ich krieg jetzt monatlich 75,- Gehalt, das
gibt ein paar schöne Fahrten. Im übrigen wollen wir auf Gott vertrauen,
und wenn uns manches gar zu schwer wird, schließen wir die Augen und
legen unseren müden Kopf in seine großen, gütigen Vaterhände.
               Herzlichst
                              immer Dein Peter.



© Horst Decker


     


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