Brief aus Nord-Frankreich an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben 08. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und erreicht das Deutsche Reich bei der Stadt Gangelt, ca. 35 km nördlich von Aachen. Ohne Rücksicht auf die belgische Bevölkerungen wurden Flugplätze gesprengt. Die Bevölkerung reagiert feindselig, Partisanengruppen treten auf.

Gangelt 8. 9.44

Mein liebes Frauchen!
Heute kann ich Dir, glaube ich, etwa
8 Tage nach Geschehen doch einmal etwas
erzählen, was mich damals schwer beeindruckt
und zugleich beglückt hat.
Es war an dem Tage, an dem wir den
Tommy besonders dicht auf den Fersen
hatten. Ich war mit dem Kommandeur
in der Gegend herumgefahren, hatte Wege
markiert und erkundet, auf daß unseren
Pferden unnötige und zu schwere Wege er-
spart blieben.
Am Vormittag hatten wir gerade das Par-
tisanengefecht hinter uns gebracht. Die
belgische Bevölkerung betrachtet uns
überall recht feindselig und wir liefen
regelrecht Spießruten.
Das alles bewegte unsere Gemüter, als wir
am Nachmittag an einem großen Flug-
platz vorbeikamen, der selbst wie die um-
liegenden Bombenlager gesprengt wurde.

Die Sprengung war dermaßen stark,
daß in den umliegenden Ortschaften
sämtliche Türfüllungen, Dächer
und Fenster in Trümmer gingen, es
sah trostlos aus. Absperrung gab es
nicht, da die Herren von der Luftwaffe
längst getürmt waren und nur das
Sprengkommando zurückgelassen hatten.
Als wir mitten im nächstgelegenen Ort
waren, gingen gerade wieder etliche Lager
hoch. Ziegel und Glasscherben prasselten
nur so auf die Straße. Wütend und
verzweifelt schaute uns die Bevölkerung
nach.
Nun, wir fuhren weiter, da schossen schon
wieder Partisanen und standen in
verdächtigen Haufen an den Straßen.
Inzwischen war ein Unwetter aufgezogen,
der Sturm heulte ganz unheimlich
und der Mond verbreitete zwischen den
Wolkenfetzen ein ganz eigenartiges Licht.

Der Rastplatz war für uns zunächst ein
kleines sauberes Bauerngehöft, in dem
wir aßen und die Abteilung abwarten
wollten. Da kam die Nachricht, daß
der Tommy wenige Kilometer von uns
mit schnell vorstoßenden Panzern stünde.
Abschüsse und Einschläge waren schon
deutlich zu hören, ein unangenehmes Ge-
fühl, wenn man dem so ganz wehrlos
gegenüber steht.
Na, die Stimmung war denn nicht allzu
rosig und Gedanken machte man sich
über alles Mögliche was nach dem Vorausge-
gangenen nur zu verständlich war.
Auch wollte ich mich wenigstens für einige
Minuten hinlegen, dabei aber mit der
Absicht, bei meinem Frauchen im Geiste
meine Ruhe wiederzufinden.
Ja, und als ich da oben in dem Stüb-
chen lag, das Licht ausmachte und mit
Dir Zwiesprache hielt, da standest Du wie

leibhaftig vor mir und sagtest, es
ginge schon alles gut. Danach war ich
ruhig, so ruhig und zuversichtlich, daß
ich von dieser Stimmung selbst meiner
Umgebung etwas abgeben konnte.
Frauchen, ich habe Dir damals ganz
dankbar Deine Hände gedrückt. Solche
Gedankenverbindungen können nur unter
Menschen möglich sein, die sich ganz gehören.
Es ging alles gut und heute können
wir rückschauend sagen, daß es wie ein
Wunder war, daß wir damals einer Um-
klammerung mit den entsprechenden Folgen
entgangen sind.
So, damit hast Du mal ein Beispiel
dafür, was Du mir draußen bedeutetst,
nämlich alles.
Vom Tageslauf ist nicht viel zu sagen. Pfer-
debandlung, ein Ritt und heute Abend
ein Doppelkopf mit dem Kommandeur. Und
jetzt halt ein liebes Zusammensein mit
meiner lieben Frau. Mit innigen Umarmungen,
vielen Küssen u. recht herzlichen Grüßen bin
ich Dein Schnucki

© Horst Decker