Brief von der westlichen deutschen Reichsgrenze, an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 13. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und befindet sich bereits im Raum Aachen. Von hier wird der weitere Weg quer durch Deutschland führen. Ziel ist vorerst der Truppenübungsplatz Königsbrück bei Dresden.

O.U. d. 13. 9.44

Liebste Margot!
Heute ist nun der Bann gebro-
chen und ich habe mit Freude
und Begeisterung die ersten beiden
Briefe von Dir förmlich verschlungen.
Kannst Du Dir vorstellen, wie glück-
lich ich nach dieser langen Wartezeit
gewesen bin? Es ist kaum zu schil-
dern.
Lange, lange habe ich mir Dein Bild
angesehen und war ganz eng mit
Dir verbunden.
Einen Haken muß die Sache aber bis
nun immer haben. Zu gleicher Zeit
meldete nämlich das Radio wieder
einen Terrorangriff auf Frankfurt.
Und das nun gerade, als ich Dich
auf dem Wege über das Tage zuvor
angegriffene Leipzig nach Frankfurt

weiß. Liebe Margot, schreib drum
recht bald, wie Du zu Hause ange-
kommen bist. Hoffentlich ist dir
Fahrerei nicht durch Umsteigen zu
sehr erschwert worden. Nun, die Haupt-
sache ist, Du hast keinen Schaden
gelitten und findest zu Hause alles
in Ordnung vor. Es ist zum Gotter-
barmen, daß man sich niemals einer
ganz ungetrübten Freude hingeben
kann. Nun sorgt man sich halt
wieder um das Liebste auf dieser Erde.
Frauchen, Du darfst nicht länger in
Frankfurt bleiben als notwendig. Geh
mir zuliebe so bald als irgend
möglich in ein Mütterheim. Schade
daß das mit dem Königsbrück nicht
eher klar war. Vielleicht hättest Du
dann mehr nach Mitteldeutschland
gekonnt. Nun andererseits ist eben
das zu Hause doch ein Halt. Es ist's

ja auch für mich, das wißt Ihr doch.
Es kommt halt jetzt noch die Inva-
sionsgefahr im Westen dazu. Da kann
natürlich auch das Rhein-Main-Gebiet
in Mitleidenschaft gezogen werden.
Bei all den Gedanken könnte man
wieder mal vor Ungheduld und Unge-
wißheit, vor Sorge und Unruhe aus der
Haut fahren.
Daß Muttel für unser provisorisches Heim
einigen Gefallen gefunden hat, hat mich ge-
freut. Na, und die Bemerkung, daß Du
von Tag zu Tage mehr wirst, interessierte
natürlich auch. Was macht bloß dieses
kleine Schneiderlein mit seiner Wild-
heit und Strampelei. Es wär schon
besser, es würde sich jetzt etwas ruhiger
verhalten. Da kann ich Deine Ungeduld
nur zu gut verstehen.
Wir exerzieren halt eine recht spannungs-
reiche junge Ehe, die durch den Gegenpol

einer unendlich großen Liebe doch
vollste Harmonie und ein großes Glück
ausstrahlt. Stimmt's? Sag 'ja' und
dann wollen wir uns beide einen ganz
lieben, langen Kuß geben.
Nachdem ich Dir gestern etwas Unerfreu-
liches über die Herren der Partei er-
zählen mußte, könnte ich heute etwas
sehr Erfreuliches berichten. Ist doch der
hiesige Ortsgruppenführer, ein Bauer von For-
mat, ein wirkliches Beispiel für seine
Dorfgenossen. Unsere Quartiermacherei nahm
er gleich in die Hand und war wirk-
lich vorbildlich. Seinen einzigen Sohn hat
er im Krieg verloren und dennoch ist
er guter Dinge und arbeitet eisern.
Bei ihm, wie auch dem gestrigen Quartier-
wirt war Pferdezuch das Hauptgesprächs-
thema.
Namen vom Dorf, deren Träger ich persön-
lich kennenlernte, waren Hilger-Neurath

Dückers und Dammer- Holzbüttjen. Sie
konnten mir gute Vertreter der Rheinisch-
Deutschen Kaltblutpferde vorstellen, Fohlen
und auch angesehene Deckhengste.
Interessant war, daß das Belgische
Kaltblut edler und gefälliger d.h. nicht
so klobig erschien wie die deutschen, die
vorwiegend den Hengst Lotus als Stamm-
vater besitzen. Die Spitzenhengste werden
hier als 2 1/2 jährige mit 15-20000 RM
bezahlt. Für 1500 RM kaufen sie die
Hengstzüchter als Fohlen auf.
Dabei gehen die Tiere nur im ersten
Jahr auf die Koppel. Im 2. werden
sie an einer Kette im
Klein oder Gros angebunden. Als Grund
gab mir Herr Hilger die Unruhe beim
Vorbeikommen von Stuten an. Die Hengste
würden sich beim Mitlaufen am Weide-
zaun nur sehr leicht verletzen und
das wäre auf diese Art mit dem Vorteil,

daß die Tiere das Anbinden dann
schon gewöhnt sind, leicht zu vermeiden.
So, nach Fachsimpelei kommst
Du noch zu mir, oder nicht? Ich bin
vielleicht gar zu teoretisch geworden?
Na, daran wirst Du Dich gewöhnen müssen.
Nein, weiß schon, Dir macht das
ja nur zu viel Spaß, wenn wir zwei
beide zusammen solche Erfahrungen sam-
meln.
Frauchen, man hat nach dieser Gemein-
samkeit solche Sehnsucht und muß
sich doch immer wieder auf das briefliche
beschränken. Nur in Gedanken kann
man sich umarmen, sich liebhaben und
abküssen. Das dann aber auch reichlich
und ganz herzlich. Mit vielen lieben
Grüßen, auch an die Eltern, bin ich so
Dein Wolf

© Horst Decker