Brief von der westlichen deutschen Reichsgrenze, an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 14. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und befindet sich bereits im Raum Erkrath. Von hier wird der weitere Weg quer durch Deutschland führen. Ziel ist vorerst der Truppenübungsplatz Königsbrück bei Dresden.

Erkrath d. 14. 9.44

Meine liebe, gute Frau!
Heute morgen habe ich nun aus dem
neuen Raum, jetzt rechtsrheinisch, ein
Telegramm an Dich losgelassen mit der
Bitte, an die Kommandantur des Übungs-
platzes Königsbrück zu schreiben, damit ich
recht bald etwas von Dir erfahre.
Gestern abend gegen 20°° fuhren wir
über den Rhein von Neuß nach Düssel-
dorf. Der Haufen kam erst später
nach. Unterdessen machten der Major
und ich Quartier beim Bürgermeister, einem
typischen Rheinländer. Es war eine fürchter-
liche Quatscherei, die jedoch einigen Erfolg
hatte. Ich selbst kam dabei allerdings
weniger gut weg. Denn mein Quartierwirt
ist ein recht muffiger Vertreter.
Na, dafür trafen es andere besser und bei
denen war ich halt heute nachmittag

Nutznießer. Die Leutchen haben einen
netten Erbhof, ein paar noch nettere Kin-
der und den Zahlmeister und Arzt
im Quartier. Man konnte mal wieder
ordentlich klönen. Zudem gab es für
mich eine eßbare Neuigkeit, die ich nur
zur Nachahmung empfehlen kann. Schwarz-
brote - Quark - Könfitüre! Das schmeckt
ganz prächtig.
Denk nun aber ja nicht, daß ich -
nach den Briefinhalten der letzten Zeit
könntest Du das meinen - überhaupt
nur noch an Essen und mein Vergnü-
gen denke, während Du Dich zu Hause
quälst und sorgst.
Nein Frauchen, es ist nur so, daß mit
der jetzigen, oft bedrückenden Eintönigkeit
und Belanglosigkeit meines Daseins eben
diese kleinen Freuden die einzig erregen-
den sind. Man lebt in den Tag hinein,

wartet auf Neues, endlich Entscheidendes
und wird immer und immer wieder
enttäuscht. Das ist im Großen wie im Kleinen
d.h. also bei der Division so. Ich bin
tatsächlich schon wieder soweit, daß ich Um-
schau nach einem anderen, arbeitsreicheren
und vor allem im Einsatz sinnvolleren
Posten Umschau halte. Ja, und das, ob-
wohl ich es doch mit dem Haufen
gut getroffen habe. Ja, Frauchen, nun
schimpfe Du nur auch einmal über diese
ewige Unruhe und Unzufriedenheit Deines
Mannes. Frauchen, es macht, weil all das
so unendlich weit von dem entfernt ist,
was ich mir selbst als Erstrebenswert zum
Ziel gesteckt habe. Dieses Postbeamtenda-
sein - und das ist ja nun auch der
Kommiß - ist da mal nicht meine Lebens-
art. Die 5 Jahre sind bald zu viel.
Ja, Du wirst Dich fragen, was hat der Junge

heute bloß?
Schlechtes Wetter ist heute, ein Niesel-
regen, unfreundliche Gesichter im Quartier
und dazu dann all die Ungewißheit.
Außerdem bin ich entsetzlich müde. Meine
'Beinerei' gefällt mir auch nicht mehr
recht. Ich glaube, das Stiefeltragen be-
kommt mir auf die Dauer nicht.
Später werde ich doch wohl ein vorneh-
mer Tierarzt werden. Lange Hosen und
Gummistiefel zum Reinschlupfen für den
Stall. An sich sind sie ja auch sauberer
und praktischer.
Nach all dem ist's wohl das Beste,
ich suche und finde bei Dir Trost und
Ruhe, gehe ins Bett und träume mit
Dir ein wenig. Ich nehme Dich in
meinen Arm, drücke Dich ganz lieb und
innig und bin únter vielen gegenseitigen
Küssen ganz glücklich als
Dein Wolf

© Horst Decker