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Brief von der slowakisch-ungarischen Grenze bei Sered an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 15. Oktober 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hat sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und ist nun in der Grenzregion Slowakei-Ungarn stationiert, wo die Truppe in Sered neu aufgestellt werde soll.
Dr. Schneider bedauert, dass er mit seinem guten Sold trotz voller Geschäfte nicht viel anfangen kann, denn um einkaufen zu können, benötigt er slowakisches Geld, das aber kaum beschaffbar ist.


O.U. d. 15. 10.44

Mein liebes, gutes Frauchen!
Sonntagvormittag siehe oben. Ich war schon
draußen bei den Batterien und komme
nun noch einmal auf Deine Anfrage zu-
-rück. Denn jedesmal, wenn ich Post bekam,
hole ich mir die letzten Briefe von Dir
hervor und bin dann in Gedanken bei
Dir. So also auch jetzt, wo mir die
Sonne im Zimmer lacht. Ja, und da
sind auf die Briefanfragen noch allerhand
Antworten zu geben.
Zunächst die beigelegten Anschriften:
Frauchen, diese Anschriften sind solche von
Menschen, die mir als Verwandte oder
Bekannte so nahe stehen, daß sie mir
und damit auch Dir(!) jederzeit hilfs-
-bereit zur Seite stehen werden. Wir
können ja nicht wissen, was noch alles
kommt, und da hielte ich es für ange-
-bracht, Dir für jede Lage Möglichkeiten
zu eröffnen. Weiter könnte ja der Fall
eintreten, aß wir durcheinandergewirbelt werden
und voneinander zeitweise auch postalisch

getrennt sind. In solchen Fällen ist
es gut, wenn wir beide bestimmte Adressen
haben, die wir dann als Mittler verwerten
können (d.h. wenn es über die Familie
nicht mehr geht). Das alles auszuspinnen
fehlt mir allerdings im Augenblick -
- sicherlich auch immer - eben notwendige
schwarzseherische Phantasie. Frauchen, ich
glaube aber dennoch, Du verstehst jetzt
meine Absicht.
Zu Deinem Vorschlag wegen der Geld-
-sendung hast Du vorher sicher schon mit
der von mir eingetroffenen Geldsendung die ent-
-sprechende Antwort bekommen. Komm,
ich brauche kein Geld d.h. ich kann
es hier doch nicht verwerten. Devisen
brauchen wir und die gibt es aber
nicht. Na, es wird trotzdem, denke ich,
nochmal zu einem Packerl vor Weih-
nachten reichen. Halt mal schnell den
Daumen, ja? So, und jetzt will ich
statt angekündigter 20 RM-Schein mal
lieber eine ganze Schachtel voller Busserl,
darauf bin ich viel begieriger. Ja, so
ist Dein nimmersatter Mann!

Da fällt mir eben ein, die Tante
Hannchen aus Görlitz hatte Dir 20,- RM
geschickt? Wozu eigentlich? Sollten
wir uns dafür etwa ein Hochzeitsgeschenk
kaufen? Gott, wie naiv! na, ja, die
lieben Verwandten! Ich war jedenfalls er-
-schlagen ob solcher Großmut.
Es sind das übrigens die Verwandten,
die mich gern als den ihren angeben,
worauf ich aber andererseits keinerlei Wert
lege. Dir ist das alles zu klein, eng
und beschränkt. Hell, weit und offen-
-herzig, das soll es uns sein,
das ist unser Lebenselement. Diese
kleine, in wenig gutem Sinne bürgerliche
Welt paßt da nicht dazu. Wenn es
auch Vatels Schreiber ist, das ist gleich-
-gültig.
Doch damit genug. Will ich mich doch jetzt
zurechtmachen für das Kirchweihfest, für das
wir bei dem slowakischen Bildhauer einge-
-laden sind. Ich schrieb Dir, glaube ich,
schon letzten Sonntag davon (Name: Hlini-
-za). Der Major, der sehr viel für Gesellig-
-keit übrig hat, war zum Mittagessen schon

ganz zappelig. Ihm gegenüber fühlte ich
mich - trotzdem er immerhin 4 Jahre älter
ist - als ruhender Pol der dort anwesen-
-den Offizierssoldaten.
Frauchen, Du kannst aber ganz unbesorgt
sein, es wird eine einigermaßen ordentliche
Unterhaltung geben und sicher ein ordent-
-liches Abendessen. Das ist genug. Im
übrigen werden meine Gedanken oft bei
Dir und meinem Würgel sein.
Ich werde mir Dich 'Quirl' hierher wün-
-schen oder werde zu Dir kommen, Dich
über schwere Stunden trösten, klein-Schneider
des öfteren zur Ordnung rufen und Dir
von der schönen noch vor uns liegenden
Zeit erzählen. Freilich haben wir schon
vieles Schöne gemeinsam durchlebt und
wenn man seine Lebenszeit bewerten will, so
sind selbst diese wenigen Monate und Wo-
-chen doch schon das Wertvollste in unserem
Leben gewesen. Stimmts? Ja, und nochmal,
ja, Frauchen.
Dann laß mich in sonniger Freude über unser
Zusammenfinden wie so oft meine Arme um
Dich legen, Dich an mich ziehen, herzlich drük-
-ken und küssen, so, bis uns beiden die Luft
ausgeht. Dir wie den Eltern sage ich dann
recht herzliche Grüße als Dein Dir ewig zugetaner Wolfgang


© Horst Decker