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Brief von der Bahnfahrt von Sered in Richtung Budapest an Ehefrau in Frankfurt/Main, 12. November 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hatte sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und ist nun in der Grenzregion Slowakei-Ungarn stationiert.
Wegen der immer näher rückenden sowjetischen Armee und einsetzender Partisanentätigkeit zieht sich die Truppe nun nach Ungarn zurück. Dr. Schneider beschreibt die Bahnfahrt entlang der Donau.


O.U. d. 12.XI.44

Meine liebe, gute Frau!
So, wie vorgesehen, ging es gestern also auch
nicht los, vielmehr dauerte die Verladerei
bis in den frühen Morgen, so daß ich nach
dem Abschied von der Tierarztfamilie
noch einige Stunden im alten Bett
schlafen konnte.
Der Abend im Hause Kaminski hatte
eine recht nette Note, obwohl man ei-
gentlich auf beiden Seiten die Tren-
-nung bedauerte. Mit der Frau und
der ukrainischen Lehrerin war ich vorher
im Kino gewesen ,Lichter einer Großstadt',
wobei man Berlin noch heil erleben
konnte. Ja, Frauchen, ein bissel weh-
-mütig ist man nach solchem Film
doch, wenn man die jetzige Wirklichkeit
damit vergleicht. Der Unterschied ist halt
zu groß. Man sieht dann erst, was

wir schon alles verloren haben u.
was wir noch alles wiedergewinnen
können und müssen.
Liebling, schnell ein Busserl, nein, viele,
viele und ganz liebe!
Ja, und dann bist Du sicher etwas
versöhnlicher, wenn ich jetzt meine reich-
-lich spät kommende Entschuldigung über
meine schlechte Schrift daher stammele.
Weißt Du doch, daß ich wieder mal
auf der Bahn liege, diesmal in einem
schlecht geheizten Güterwagen, wo 2 Bänke u.
ein roher Tisch drin stehen. Besatzung
4 Offiziere, 3 Soldaten. Der einzige Kom-
-fort ist ein Wehrmachtsrundfunkempfän-
-ger, der bei dem Geratter aber auch nur
dürftig zu verstehen ist.
Eben fahren wir an der Donau entlang
in Richtung auf Budapest. Wohin er end-

-gültig geht, weiß keiner. Du wirst es
schon rechtzeitig erfahren und brauchst Dir
keine Sorgen zu machen, daß wir gleich
Richtung Russen ins Kampfgetümmel kom-
-men. Dafür fehlt doch noch manches,
vor allem die Ausbildung. Es steht
trotz, wie so oft, wieder mal ein gros-
-ses Fragezeichen über allem. Nein, also
eben war es mit dem Gerumpel ganz toll,
wahrscheinlich sind wir durch einen Bahn-
-hof gekommen. Die vielen Weichen und
Überführungen machen sich da doch schwer
bemerkbar.
Jetzt ist's wieder Abend. Die Kerze steht
auf dem Tisch, die meisten liegen schon
wieder lang und so ganz allein kann
ich dann mit meinen Gedanken bei Dir
sein. In diesen Tagen bin ich das ja
besonders oft, vor allem, wo man ohne jede
Nachricht und Post ist.

Dadurch, daß wir heute lange in den
Tag hinein geschlafen haben, ist der Tag
rasch vergangen. Die Fahrt ging durch
landschaftlich recht reizvolle Gegend, nicht
viel anders als in der Mittelslowakei.
Hier in Ungarn sah man jetzt an der
Bahnlinie also auch schon wieder schwere
Bombenschäden.
Was wirst Du wohl an diesem heutigen
Sonntag machen? Sicher wirst Du ganz
in Erwartung auf unser Jüngstes leben.
Hoffentlich geschieht das alles in verhält-
-nismäßiger äußerer Ruhe. Frauchen, ich
bin jetzt eigentlich immer bei Dir, neh-
-me Deine Hände und halte sie ganz
ruhig und fest.
Ja, und wenn Dir der Notker oder die Almute
Ruhe gibt, so fasse ich auch Deinen Kopf
und küsse Dir ganz lieb und innig
Stirn und Mund. So grüße ich Dich recht,
recht herzlich
          Dein Wolf

© Horst Decker





     




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