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Brief eines Luftwaffensoldaten an ein ihm
unbekanntes berliner Fräulein

                      4. Juni 1942
Liebe Klara!
    Für Deinen Brief vom 17. Juni meinen
herzlichsten Dank. Machen wir es also kurz und
schmerzlos und gebrauchen das vertrauliche Du,
dann klingt bestimmt nichts mehr steif, fin-
dest Du nicht auch. Als unbekannte Brieffeun-
de können wir uns schon mit Du anreden.
Was das Bruderschaftstrinken anbetrifft, so
läßt sich das in meinem nächsten Urlaub
sicher nachholen. Du kannst also schon eine Fla-
sche kalt stellen!! Von zu Hause nach Berlin
fahre ich ja nur 2 Stunden.
   Am 16. Mai bin ich mit einer Ju 52
nach Smolensk geflogen, am 17. war ich in
Minsk. Ich habe einen Lehrgang bis Ende
Mai mitgemacht, natürlich betraf dieser die
Musik. Dirigieren, Chorsingen, Mannschaftssingen,
Musizieren mit Instrumenten, musikalische Hand-
werkslehre, Feierabendgestaltung usw. waren Unter-
richtsfächer. Diese 12 Tage haben mir sehr gut
gefallen. Die Abende waren auch immer ge-
nügend ausgenutzt. Vier mal war ich in's
Varieté und zweimal in's Kino. An einem

Tage gaben wir eine Sendung am Landser-
sender Minsk, die überall sehr gut gefallen
hat. Dann wieder gaben wir ein Chorkonzert in
Verbindung mit einem Luftwaffenmusikkorps.
An einem anderen Abend bin ich mit einem fa-
belhaften Reitpferd ausgeritten. Wir sind wie
wilde Kosaken durch die Gegend gerast, das
war allerdings etwas zuviel, da hatte ich einige
Tage einen unerhörten Muskelkater in den Ober-
schenkeln.
   Ja, der Frühling hat hier seinen Einzug gehalten
er hat aber unzählige Mücken mitgebracht, sodaß
man am Tage mindestens 30 mal von diesen
Viechern gestochen wird. Eine schöne Sommerreise
als Zivilist würde ich ja auch gerne mitmachen, aber
leider ... Übrigens hat alles zwei Seiten, auch das
Fliegen. Als Außenseiter sieht man vieles in einem
besseren Licht, das trifft beim Komiß besonders zu.
   Nun will ich meine Zeilen wieder beenden.
Weiterhin alles Gute und herzliche Grüße
        Dein Brieffreund
          Ulli


     


© Horst Decker