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Brief eines Luftwaffensoldaten an ein ihm unbekanntes berliner Fräulein

                      27. Sept. 1942
Liebes Klärli!
    Heute haben wir
wieder mal einen Sonntag, das
stellen wir nur am Kalender fest,
da hier ein Tag wie der andere ist.
Von 22:00 bis 24:00 Uhr werde ich
meinen Streifendienst versehen und
im nächtlichen Dunkel hier um-
herlaufen und morgen früh
von 4:00 bis 6:00 noch einmal.
Vorher habe ich ja nun etwas
Zeit um einige Zeilen an Dich
zu richten. Im vergangenen Jahr
um diese Zeit war ich gerade zu
Hause und hatte Urlaub. An=

schließend war ich noch bis
zum 28. Oktober in Berlin-
Kladow im Genesungszug mei=
ner Ersatzabteilung, ich lag
nämlich in Frankreich längere
Zeit im Lazarett. Wie ich er=
fahren habe, kann ich mit
meinem Urlaub erst im Novem=
ber rechnen. Ich wäre ja lieber
im Sommer oder Herbst gefahren,
aber man muß schon zufrieden
sein, wenn man überhaupt
fahren kann. Dieser harte
Kampf im Osten erfordert eben
jeden Mann. Im Radio höre
ich jetzt Melodien aus Wien, die

mit dem Einzugsmarsch aus
dem 'Zigeunerbaron' eröffnet wur=
den. Schöne Radiomusik ist ei=
gentlich unser einziger Trost, be=
sonders für mich. Im Winter 1940/41
bin ich viel nach Bielefeld ins
Theater gefahren u.d. sah ich den
'Zigeunerbaron', 'Monika', den
'Tannhäuser' von R. Wagner, die
Märchenoper 'Hänsel und Gretel'
von Humperdinck. Um besser klar
zu kommen hatte ich mir einen
Opernführer gekauft, da ging
es aber wieder nach Frankreich. In
Frankreich war ích während des
Krieges ungefähr 1 1/2 Jahr, mir
hat es da ganz gut gefallen, zu=

mal ich 6 Jahre in der Schule
Französisch hatte und mit
der Bevölkerung in gutem Ein=
vernehmen stand. So manchen
edlen Wein haben wir probiert und
so manche Flasche Champagner
mußte dran glauben, einen schönen
Likör haben wir auch nicht stehen
lassen. Wann hast Du eigentlich
Geburtstag? Wo bist Du beschäftigt!
und was machst Du da, außerdem
wüßte ich gerne ob und wie ich
Dich telefonisch erreichen kann.
Wie Du siehst, so hast Du nicht nur
alleine Fragen, sondern ich auch.
Zum Schluß hoffe ich, daß Du die=
sen Sonntag recht nett verlebt hast
und grüße Dich herzlich
               Dein
                     Ulli



     


© Horst Decker