profilm.de Zeitzeugenberichte Zusammenfassung

Brief eines Luftwaffensoldaten an ein ihm unbekanntes
berliner Fräulein

                      Sonntag, 8. Nov. 42
Liebe Klärli!
       Heute hast Du nun
Deinen großen Tag! Viel=
leicht habe ich sogar am früh=
hesten auf Dein Wohl getrun=
ken, denn um 6:30 h wirst Du wohl
noch geschlafen haben. Gestern habe
ich nämlich bei einem gemütlichen
Abend musiziert und zu Beginn
Deines Geburtstags war ich somit
noch auf. Jetzt ist es gleich 18:00 h,
ich nehme an, daß Du den heuti-
gen Tag sehr nett verlebt hast und
noch verleben wirst. Meine Geburts=
tagsgrüße werden wohl rechtzeitig
angekommen sein. Ich glaube aber,
daß bisher alle meine Briefe ange=

kommen sind, was durchaus nicht
immer der Fall sein könnte bei
den hiesigen Verhältnissen.
       Nun scheint es auch so, als ob
der Winter den Herbst abgelöst hat,
was die 15° Kälte immerhin be=
weisen. Teilweise ist auch schon Schnee
gefallen. Nachmittags um 16 h wird
es schon dunkel, dann folgt der
lange Abend von 5 bis 6 Stunden.
Ab und zu veranstalten wir mit un=
serer Kapelle einen Übungsabend.
Zeichnen und malen tue ich auch
gerne, daher meine bunten Briefe
an Dich. Hoffentlich verwöhne ich Dich
nicht damit, die örtlichen Verhält=
nisse können sich manchmal schnell
ändern hier und dann ist es aus

mit meiner Freizeitgestaltung und
der Briefmalerei. Kaufmann habe ich
in einem Gemischtwarengeschäft gelernt,
Kolonialwaren, Weine, Delikatessen, Fein=
kost, Zigarren, Zigaretten und was es
sonst noch so gibt in einer mecklenbg.
Kleinstadt. Das Geschäft war vielseitig
und somit meine Beschäftigung sehr
interessant und abwechselungsreich,
ganz gleich, ob ich verkauft habe, oder
an der Schreibmaschine saß, oder mich
mit Dekorationen, Lackschrift, Kunst=
schriften, Plakatentwürfen und derglei=
chen beschäftigt haben. Schon nach meiner
Lehrzeit wurde mir von einem Zigaretten=
vertreter eine Stelle als Geschäftsführer in
Waren (Müritz) angeboten, aber leider
mußte ich zum R.A.D. Bei meiner Prü=
fung mußte ich die Geschäftsvorfälle
eines Monats buchen mit Eröffnungs=

und Schlußbilanz, ich mußte
mich also auch mit Grund=
Haupt= CCC = Buch, Journal
Kladde, sowie Salden = Rohbi=
lanz und sonstige schöne Sa=
chen herumschlagen. Dann gab
es Angelegenheiten zu regeln
mit der Bank, Post, Bahn,
Spediteur, Kunden, Lieferanten usw.
Jetzt beschäftige ich mich mit den verschie=
denen Arten der Werbung (Reklame) um
später eine Prüfung ablegen zu können
damit ich auch als Werbekaufmann zu=
gelassen werden kann, oder um das Gelernte
im eigenen Geschäft zu verwerten. Gegen
all das ist Komiß oder Beamtentum
für mich viel zu stur und eintönig, außer=
dem verdiene ich als Kaufmann weit
mehr, muß aber auch vielseitig sein.
Dies wollte ich Dir nur als Erklärung für
meine Illustrationen sagen.
      Sei nun wieder herzliche Grüße
                sendet Dir
                     Ulli



     


© Horst Decker