Brief aus dem Gefängnis Chemnitz, 14. September 1935

Die Zusendung von Tabak und
Lebensmitteln ist verboten. Geld
und Briefmarken dürfen den
Briefen nicht beigelegt werden.

Chemnitz, den 14. September 1935

Liebe Eltern u. Schwester!
Unser täglicher Ausflug ist soeben beendet.
Es ist 9 Uhr, ich habe nun Zeit Euch zu schreiben.
Ja, es kommt bei uns auch vor, daß wir mit
unserer Zeit nicht auskommen. Wir fragen
uns manchen Tag wo die Stunden sind so
schnell hingeflogen. Und das ist gut so,
denn wie die Tage, so verfliegen auch die
Wochen u. Monate. Heute früh beim Spazieren-
gehen war es schon recht kühl u. mit jedem
Tag wird man mehr an das Schlafengehen
der Natur erinnert. Ihr zu Hause werdet wohl
Tür und Fenster schließen u. Euch ein molliges
Wohnen einrichten. Bei uns wird jetzt auch
geheizt, damit sich niemand den Schnupfen holt.
Ja für um für uns wird mächtig gesorgt. Ich bin
in bester Verfassung, was ich natürlich auch
von Euch hoffe u. wünsche. Liebe Mutter
Deine beiden Briefe habe ich bekommen u.
danke Dir recht dafür. Es stand wieder aller-

hand drinnen u. freue mich mit Euch,
daß wieder alles in Ordnung ist. Auch
recht vielen Dank für Alberts Blumen,
es wird wohl der letzte Strauß gewesen
sein. Wenn Alfred zum nächsten Besuchstag
mitkommt, freue ich mich, als Schwager kann
er schon kommen. Dass wir beide mit unserere
Lotterie durchgefallen sind u. unsere Hoffnungen
zu Wasser sind, nennt man Pech. Es ist gut,
daß ihr mein Los abgegeben habt. Vorige Woche
war Rudi bei mir u. hat mir gesagt, dass
alles geregelt wird. Das Steuerheft will er
behalten u. für sich sonnabends mit Fischwaren
gehen, mir ist es schon recht, da brauchen wir
das Heft nicht abzugeben. Es Was treibt
denn Vater jetzt noch im Garten?. Ich glaube
es ist doch nun am längsten schön draußen
gewesen u. er kann sein Sommerlager wieder
abbrechen. Nun seid alle recht herzlich
gegrüßt von Eurem Hans.
Viele Grüße an Freunde von mir ausrichten.

© Horst Decker


     


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