Nachlass 'Josef Kreuter, Farben- und Stempelfabrikant, Frankfurter Str. 131, Gießen'

Feldpostbrief eines 'Jost' an seine Frau in Gießen

geschrieben am 25. Juli 1944

25.7.44

Du Liebste
Bei jeder Postausgabe hoffe ich auf eine
Nachricht vom 20. oder 21., um endlich zu wissen,
ob bei jenem Angriff auf Wetzlar Gießen etwas
abbekommen hat. Rufst du bitte immer Mutti
an, wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte.
Gemeinschaftlich trägt man Schweres besser als
allein.
      Die Post wird durch die Irrfahrt durcheinan=
der gebracht. Erst kommen die die neuesten Briefe, dann
die ältesten. Trotzdem habe ich sie alle beisammen
bis 129.
      Inzwischen waren wir schon in einem neuen
Hafen an Land, und jetzt sieht man nur ganz
fern Land, das sich merkwürdigerweise auf
und ab bewegt. In Wirklichkeit wiegt sich unser
Schiff leicht.
      Nun habe ich 7 Bilder von dir bekommen. Du bist

ein Prachtmädel geworden, noch viel schöner als bisher.
Sag bloß, du hättest komische Beine. Wenn du Tänzerin
wärest, müßte ich vor Sehnsucht zerplatzen, weil
sie alle nach deinen Beinen schauen würden. Siehst
du, auch solche unanständigen Blicke wirft er
also schon. - Du olle Nuß siehst auf jedem Bild
anders aus, ich staune, wie sich dein liebes Gesicht
im Ausdruck verändern kann. Und überall
ist dein liebes Lachen - du, ich freue mich so, wenn
ich dich selbst wieder betrachten kann. Oh, dann
mußt du auch deine Frechheit 'büßen". Ich werde
dir ungeheure 'Zucht'strafen auferlegen, wenn ich
auch kein Fähnrich bin. So schnell geht das näm-
lich nicht, zuerst muß man auf der Marine=
schule in ...wik gewaltig büffeln, ehe man
vielleicht für wert befunden wird, eine neue Uniform
anzuziehen.
Du darfst nicht böse sein, kleine Schwester, wenn
ich dir nicht so oft schreibe. Auf dein 'kommst
du manchmal nicht klar', zumal wir noch die

zahlreichen Rohrleitungssysteme unseres 'Dampfers'
aufzeichnen müssen. Am Sonntag war ich seit
drei Wochen zum ersten Mal an Land, habe
natürlich 10 Mädchen kennengelernt, mit 5 war
ich am Strand, 1 blieb schließlich für den Abend. So
stellst du dir doch meinen Landgang vor, nicht?
Aber sonst war ich solider Strohwitwer und warte
getreulich auf den Kochlöffel der ollen Frau ...,
geb. ..
      Übrigens soll diese liebe, kleine Frau nicht immer
krank sein und doch nach Reichenhall fahren. Du
arbeitest dich in den Ferien ab und hast dann den
Anforderungen der Schule und des Dienstes nichts
mehr entgegenzustellen. (komisch, daß meine Zeilen
immer nach rechts unten streben. Ja, die Macht
der Gewohnheit, früher mußte der rechte Arm
immer einen gewissen anderen Arm festhalten).
      Fährst du wirklich mit zu deiner Großmutter?
Da möchte ich nochmal ganz kurz in ...wik ..=
... ...' habe ich gehört. Getanzt haben wir

noch nie nach ihm. Und 'Lieselott'. Ich denke
immer noch an jene ...paarstellung, da
ich es nach langem Bemühen endlich geschafft hatte,
neben dir zu sitzen. Und du hast mich so gründlich
abgeküsst. - Aber nein, dazu sind wir zu
vornehm!
      Ihr habt ja eine tolle Familienbrüderschaft da
zu Hause gefeiert. Wo bleibe ich mit meinen paar
Schnäpsen gegen Brand, Likör und Wein?
      Grüße deine Eltern vielmals.
      Dir alles Liebe und herzliche Grüße,
                  Dein
                              Jost

     

© Horst Decker