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Wiedergabe des Tagebuchs, das von dem deutschen Kriegsgefangenen Fritz Lippacher im US Gefangenenlager 'Wiesenlager Bad Kreuznach' als Loseblattwerk geführt und von ihm nach Entlassung am 25.6.1945 mit Schreibmaschine abgeschrieben und zu einem Heft gebunden wurde.

Tagebuch Kriegsgefangenenlager Bad Kreuznach

Meine Erlebnisse
in der amerikanischen
Kriegsgefangenschaft

Bericht über das
Lager Kreuznach
27.4. - 25.6.1945

Berichtet von
Fritz Lippacher, Leipzig 05, Jonasstr. 7

Leipzig, 1945




Meine Erlebnisse in der amerikanischen
Kriegsgefangenschaft in
Bad Kreuznach


              Am 27. April 1945, dem letzten Meldetag zur
Registrierung der Angehörigen der deutschen
Wehrmacht ging ich, nachdem ich schon 4 Tage hin-
tereinander das amerikanische Gouvernement in
der Kronprinzstrasse vergeblich aufgesucht hatte,
zur Polizeiwache Marienstrasse, um mich an Hand
meines Entlassungsscheines und meines Kriegsver-
sehrtenausweises eintragen zu lassen. Vorher war
ich bei meinem Friseur gewesen, welcher mir versi-
cherte, dass er nach erfolgter Registrierung so-
fort wieder nach Hause gehen durfte. Jeder ver-
nünftige Mensch hat auch so gedacht und niemand
wäre jemals auf den Gedanken gekommen, dass es für einen der wesent-
liche körperliche Schäden aufweist, anders sein
könnte. Ich aber und viele andere Kameraden wur-
den bitter enttäuscht. ......

Kurz vor 6 Uhr früh hatten wir ein wenig gefrüh-
stückt - viel hat man nicht zu essen - auch woll-
ten wir unsere Besorgungen in der Stadt, da keine
Strassenbahn fuhr, rechtzeitig erledigen. Am
Dittrichring trennten wir uns und ich begab mich
auch heute wieder nach der Kronprinzstr., wo be-
reits wieder eine grosse Anzahl von Menschen stand,
die sich alle registrieren lassen wollten. Da ich
nicht so lange stehen kann, zog ich es nun vor, und
ging zurück nach der Marienstrasse in die
dortige Polizeiwache. Hier waren noch zwei andere
Kameraden und ein Wachtmeister erklärte uns, dass
wir nicht wieder fortgehen durften. Wir würden
den Amerikanern vorgeführt zur Vernehmung. Einige


Tage später erfuhr ich in einem der vielen Ge-
fangenenlager, die wir durchlaufen mussten, dass
die Polizeibeamten in den anderen Stadtteilen
viel kameradschaftlicher waren und die Wahrheit
gesagt haben, dass wir auf einige Zeit in Gefangen-
schaft gehen müssten und von zu Hause noch wärmere
Kleidung, eine Decke und so verschiedenes, was
einem nützlich sein könnte, holen sollten - die
Polizisten in der Marienstr. haben uns dies aber
verschwiegen.
Es beunruhigte mich, dass wir bereits jetzt
unter strenger Bewachung standen und nach einigen
Stunden wurden wir nach der amerikanischen Wache
gegenüber dem Hauptbahnhof transportiert. Zuvor
hatte ich noch das Glück, einem kleinen Jungen,
der sich vor der Glastür der Polizeiwache aufhielt,
einen Zettel in die Hand zu drücken, den er zu
meiner Frau brachte und womit ich ihr mitteilte,
dass ich mich hier befände und vorerst nicht nach
Hause dürfte.
In der amerikanischen Wache wurden wir regi-
striert und ich als Kriegsversehrter sprach ausser-
dem noch mit dem amerikanischen Offizier auf Eng-
lisch, dass ich wohl irrtümlich festgehalten würde,
worauf ich den Bescheid erhielt, dass ich in Kürze
verhört würde und dann sofort nach Hause gehen
könnte. Hätte ich doch gewusst, dass man uns schon
jetzt so belog und betrog ... .
Uns wurde auch sofort der gesamte Tascheninhalt
weggenommen und die Amerikaner stritten sich um
all die kleinen Sachen - einzig und allein einen
kleinen Kamm durfte ich behalten.
Ich hatte keinen Hut, keinen Mantel - nur so,
wie man mal kurz auf die Strasse geht, war ich
angezogen. Nach der Ausplünderung stiess man uns
mit Fusstritten auf die Wiese nebenan, wo wir bis
16 Uhr stehen mussten. Im Laufe des Tages brachte
mir meine liebe Frau, nachdem sie von einem vorüber-
laufenden Hausgenossen, der mich gesehen hatte,
mein Schicksal erfuhr, ein Päckchen mit belegten
Broten - sie durfte es mir aber nicht geben und
wurde von einem amerikan. Soldaten brutal verjagt.
Bei mir machte sich der Hunger sehr bemerkbar,

hatten wir doch schon 8 Stunden nichts gegessen.
Ich bat dennoch zwei Amerikaner in englischer
Sprache, es zu bewilligen, aber vergeblich. Sie
musste unverrichteter Sache wieder gehen und wir
waren beide sehr traurig.
Nachmittags fing es auch noch an zu regnen und
wir waren dem Wetter völlig schutzlos ausgesetzt.
Gotseidank hatten wir an diesem ersten Tag noch
keine Ahnung, wie oft und wie lange wir noch un-
ter schlechtem Wetter unter freiem Himmel zu
leiden hatte.
Vor der Wiese am Hauptmannhof ging die Leip-
ziger Bevölkerung auf und ab und beschimpfte uns
in der irrigen Meinung, wir seien alle Nazi-
sie wussten ja nicht, dass wir nur Männer waren,
die das Unglück hatten, für das Vaterland im Krieg
gewesen zu sein.
Allerdings stand in einem besonderen, ganz
engen Pfahlkäfig mitten auf der Wiese ein Mann
namens Schneider, welcher Direktor des Erla=
Hasag=KZ in Mockau=Thekla war, welcher die KZ-
Insassen tags zuvor, ehe die amerikanischen Be-
satzungstruppen einmaschierten, mit Benzin über-
giessen und anbrennen liess und andere mittels
starkstromgeladenen Stacheldrähten hatte töten
lassen. Dieser wurde von den Amerikanern ganz
besonders brutal behandelt - mit vollem Recht!
Uns bedachte man des öfteren mit einem Fusstritt.
Weil ich die Aussagen des amerikanischen Of-
fiziers glaubte, nahm ich an, als wir nach 16
Uhr auf einen LKW unter Zuhilfenahme von Kolben-
stössen und Tritten verladen wurden, wir kämen
nun zu einem Verhör innerhalb der Stadt. Wir
fuhren durch das Zentrum, nachdem uns die Zu-
schauer mit den gemeinsten Schimpfworten wie
"Nazischweine, Verbrecher, Mörder" bedacht hatten
und angespuckt und mit Steinen beworfen. Es ging
immer weiter südwärts und wir landeten gegen 17
Uhr in der Elisenstrasse. Hier ergoss sich aus
der Elisenburg eine ungeheure Menge Männer aus
diesem Gefängnis - alles solche unglückliche
ehemalige Soldaten wie ich und 30 LKW waren bald
gefüllt. Wir wussten immer noch nichts über
unser Schicksal und wir glaubten immer noch:

"Morgen werden wir wieder zu Hause sein". Der
SS-KZ-Direktor wurde inzwischen abgeführt, wo=
bei ein amerikanischer Leutnant zu einem Feld=
webel sagte: "He will be killed still to-day",
zu deutsch: Er wird heute noch erschossen.
     Jetzt begann eine tolle, rasende Fahrt durch
Lindenau, Markranstädt und immer weiter nach
Westen - jezt spürten wir, dass man uns betrogen
hatte. Nach einigen Stunden schnellster Autofahrt
kamen wir in Naumburg an, wo man uns in ein
grosses Lager sperrte. Hier waren bereits einige
Tausend Gefangene versammelt und mit gemischten
Gefühlen betraten wir diesen grossen Platz. Nun=
mehr spielte sich unser ganzes Dasein nur noch
unter freiem Himmel ab. Hier waren aber wenigstens
auf Ziegelsteinen einige Balken gelegt, auf wel=
che man sich setzen konnte, was später in den an=
deren Lägern völlig fehlte, sodass wir uns über=
all mit dem blanken Erdboden begnügen mussten.
      Hier in Naumburg traf ich unter den Tausenden
einen ehemaligen Arbeitskameraden aus meiner Fir=
ma, namens Rommel, den ich seit Jahren nicht
mehr gesehen hatte. Er war als Soldat gefangen
genommen worden, während ich doch bereits ein
Vierteljahr als Zivilist zu Hause gewesen war,
denn ich wurde bereits im Februar 45 wegen völli=
ger Dienstuntauglichkeit entlassen.
      Ein anderer Kamerad, ein Herr aus Leipzig C I,
Felixstrasse, erzählte mir, dass die Amerikaner
in den letzten Tagen in Leipzig überall in der
Stadt die Männer weggefangen hatten aus den Woh=
nungen und Büros heraus, aus den Schrebergärten,
vom Spaziergang weg an der Seite ihrer Frauen,
alle sind sie nach solchen Lägern abtransportiert
worden so wie sie gingen und standen, ohne jegli=
che Vorbereitungen für einen längeren Aufenthalt
unter freiem Himmel. Nachdem wir schon in Leip=
zig nichts zu Essen bekamen, gab es auch in Naum=
burg keine Marschverpflegung. 4 1/2 Tage mussten wir
hungern, nur einmal eine winzige Portion Nudelsup=
pe haben wir erhalten, die nur mit Wasser gekocht
war. Bewacht wurden wir sogar u.a. durch einen
Panzer mit MG.
      Nochmals wurden alle Taschen durchsucht und

ein deutscher Leutnant erhielt zwei Ohrfeigen,
weil er seine Uhr im Strumpf versteckt hatte.
     Bereits in der ersten Nacht begann es so hef=
tig zu regnen, dass ich nicht wusste, wohin ich
mich begeben sollte, da ich keinen Hut, keinen
Mantel und keine Decke hatte. Ein mitleidiger
Obergefreiter, der drei Decken hatte, schenkte
mir eine, weil er befürchtete, dass ihm die
Amerikaner doch sicher die dritte abnehmen wür=
den. Nun war ich durch die hochherzige Spende
wenigstens vor der ärgsten Nässe geschützt.
     Da der Regen überhaupt nicht aufhörte, habe
ich 7 Tage dauernd stehen und herumlaufen müssen,
auch in den Nächten, weil infolge des nassen
Bodens an Sitzen und Liegen überhaupt nicht zu
denken war. 23 Uhr hatte ich so heftige Schmer=
zen in meiner Operationswunde infolge der Kälte
und Nässe, dass ich den Arzt aufsuchen musste.
Leider wurde mir nicht geholfen, ich durfte nicht
einmal in dem Kellergang bleiben, wo es so schön
warm war, sondern man gab mir einen Zettel mit
der Berechtigung zur Benutzung des Silos, wo
Kranke und Verwundete schlafen durften. Dieser
war aber bereits so voll von Gesunden und Ver=
wundeten, die dort schon lagen, dass man über=
haupt nicht hineinkonnte. So musste ich im Regen
die ganze Nacht durch das Lager wandern, bis
der Morgen anbrach.
      Auch am nächsten Tag gab es wieder keine Ver=
pflegung. Man trieb uns wie eine Hammelherde
zum Güterbahnhof, wo wir in Waggons verladen wur=
den, je 100 Mann in einen offenen Güterwagen.
Wir fuhren nach Mühlhausen i. Thür. . Unterwegs
warfen uns Leute, die an der Strecke wohnten,
Liebesgaben in den Zug - die jungen und kräftigen
Kameraden erwischten dank ihrer Beweglichkeit
natürlich das meiste - wir älteren, teils verwun=
deten und gebrechlichen mussten uns mit dem we=
nigen begnügen, was sie uns aus Gnade abgaben.
Meist waren es Brote oder sie reichten uns einen
Topf Suppe herauf, es war aber nur ein Tropfen
auf den heissen Stein bei 4000 Mann .....

Das Lager Mühlhausen, in welchem wir uns nun
befanden, war ein grosser freier Platz dicht
neben dem Güterbahnhof. Es war noch grösser als
das Naumburger und auch hier wurden wir ohne
jegliche Verpflegung zwei Tage und Nächte fest=
gehalten. Der Hunger peinigte uns grausam.
Durch das dauernde Herumstehen und Hungern war
ich derartig erschöpft, dass ich in einer Nacht
acht Mal umfiel. Im Anfang durften die Ohnmäch=
tigen zum Arzt gebracht werden; als sich dies
aber dauernd wiederholte, liess er sagen:"Lasst
sie nur liegen, wenn es ihnen zu nass wird,
stehen sie von selber wieder auf!"
     In diesen Tagen sind 130 Kameraden gestorben,
diese Zahl soll nach Aussage des Sanitätsperso=
nals in der Zeit unserer Gefangenschaft die
tägliche Quote gewesen sein ....
     Nunmehr waren wir nur noch auf die blanke
Erde angewiesen, keinerlei Sitzgelegenheiten
standen uns zur Verfügung. Alle Bäume waren
entfernt, aber nicht ein einziger Stumpf ragte
aus dem Boden, nein, man hatte sie bodengleich
abgesägt. Nichts konnte uns Erleichterung oder
bei Sonne Schatten spenden. So mussten wir auch
bei Regen und Kälte immer nur tagsüber und nachts
mit dem Erdboden vorlieb nehmen.
     Am nächsten Tag wurden wir wieder auf zahl=
reiche LKW verladen und in rasender Fahrt -
man glaubte oft, die Wagen würden im nächsten
Augenblick umkippen - ging es nach Hersfeld.
Auch hier nichts als ein kahler Platz, aber als
kleinen Trost fanden wir hier Erdlöcher vor,
durch die wir uns etwas gegen den Wind schützen
konnten. Allerdings mussten wir sie bis früh
1/2 7 Uhr wieder zuschütten, sonst gäbe es keine
Verpflegung! Das war schon Schikane; als Grund
gab man an, dass beim Belassen dieser Gruben
ein Antreten nicht möglich sei. In diese Erd=
löcher waren teils Nischen eingearbeitet, wo
man Konservendosen, Decken usw. unterbringen
konnte.
     Infolge meines furchbaren Hungers bat ich
einen Kameraden um ein wenig Brot, welches ich

wie ein Wunder auch bekam.
      In Hersfeld kamen wir jeden Tag in ein anderes
durch Stacheldraht abgetrenntes Feld (Camp).
Hier begann man endlich, uns zu verpflegen: Die
erste Beköstigung bestand aus Wiener Fruchtwaf=
feln, Tubenkäse und 1/3 Dose Fleisch. Total ver=
hungert, haben wir diese Ration sofort beim
Empang, noch während des Laufens, wie hungrige
wilde Tiere, im Nu restlos aufgegessen - es
sollte 24 Stunden reichen ......
     In diesem Lager gab es auch die ersten Ver=
höre und Sortierungen: SS, NSDAP-Funktionäre,
Offiziere, Landräte und solche, für die sich
die Amis besonders interessierten, wurden aus=
gesondert und in Gruppen abtransportiert. Ich
selbst wurde als ehemaliger Angehöriger des
Generalstabes der geheimen Waffe V1 und weil
ich nur 12 Tage in Dachau war, wo ich aber für
das KZ-Wachbataillon nicht für tauglich befunden
wurde, von einem jüdischen Offizier verhört,
konnte aber nicht d i e Auskünfte geben, die
er mit Gewalt aus mir herauspressen wollte.
Deshalb musste ich mir Prügel, einen Schlag
mit einem Knüppel über die Nase und gemeine Aus=
drücke gefallen lassen, ohne mich im geringsten
wehren zu können. Ein anderer Kamerad neben mir
musste sich eine halbe Dose schwarze Schuhcreme
in das ganze Gesicht schmieren, weil er SS=Ange=
höriger gewesen war. Mit diesem schwarzen Gesicht
führte man ihn in ein anderes Camp, wo schon vie=
le solche Gekennzeichneten sich befanden.
     Am nächsten Tag gelang es mir, als wir zur
Verpflegungsausgabe in ein anderes Camp marschier=
ten, aus meiner Kolonne heraus in eine andere
Marschsäule hiüberzuwechseln und so kam ich
mit durch das Tor und wir wurden wieder in einen
offenen Güterzug verladen, cirka 90 Mann in
einen Waggon. Auf der Fahrt warfen uns
die Leute Liebesgaben in die Waggons, aber es
reichte bei Weitem nicht aus bei den Tausenden
von Gefangenen und die meisten mussten leer
ausgehen. Da wir doch fast immer stehen muss=
ten und es in den Waggons so furchbar eng war,
fielen manche auf den Boden und andere trampelten

auf ihnen herum.
     Erst nachts halb 3 Uhr kamen wir in Kreuznach an,
vor unserem Transportzug standen noch drei wei=
tere, die noch entladen werden mussten. Nun be=
gann ein sehr weiter Fussmarsch, ehe wir an den
völlig zerstörten Bahnhof Kreuznach kamen. Dann
ging es weiter zu Fuss durch die stockfinstre
Nacht nach dem etwa 5-6 km entfernten Lager.
Am Haupttor begann ein solcher Schlamm,
dass ich stecken blieb und dauernd meine Schuhe
verlor, sodass zwei Kameraden sich meiner er=
barmten und mich etwa 1 km weit durch den Mo=
rast schleppten, da ich infolge Erschöpfung
überhaupt nicht mehr laufen und auch in der
Dunkelheit garnichts sehen konnte. Wir drei
fielen dann ganz ermattet auf die Erde und
schliefen auf dem nassen Boden sofort ein, so
fertig waren wir ....

     Das amerikanische Kriegsgefangenenlager Bad
Kreuznach, welches nun für ca. 8 Wochen
unser Aufenthalt sein sollte, ist ein riesen=
grosses freies Ackergelände ohne jegliche Bäu=
me, ein Hochplateau, rings von Hügelketten um=
geben. Es bestand aus 28 Camps (Felder), mit
zweifachem Stacheldrahtzaun umgeben. An jedem
Mast eine elektrische Lampe und in jedem Camp
an der unteren und oberen Schmalseite ein hoher
Wachturm mit je zwei MG=Posten. Ausserdem gehen
zwischen den Doppelzäunen amerikanische Posten,
teils Neger. An den Ecken der Camps standen
grosse LKW=Scheinwerfer. Jedes Camp ist in Blocks
zu je 600-750 Mann, jeder Block in Züge zu je
50 Mann und diese wieder in Gruppen von je 10
Mann eingeteilt. Zwischen den einzelnen Blocks
befanden sich Wege, am oberen Ende die Aborte,
zu denen man mitunter 300-500 m zu gehen hat.
Westlich war ein freies Feld zum Entlausen,
östlich ein solches zum Waschen - allerdings ohne
jegliche Einrichtung dazu. Dazwischen gab es
ein langes Wasserleitungsrohr mit zahlreichen
Hähnen, wo stundenweise Wasser entnommen werden

durfte, wenn gerade angestellt war. Leider
konnte man es nicht trinken, da es braun und
schlammig herauskam. Mitunter mussten wir stun=
denlang anstehen, bis es welches gab und wüste
Szenen spielten sich unter den Gefangenen ab,
wenn sie sich um den Vorrang stritten.
      Unten im Tal standen die Sanitätszelte und
Küchen, sowie die Lagerverwaltung und die Zelte
der Lagerpolizei. Die Sanitätseinrichtungen
haben uns fast nichts genützt, denn wenn
man sich auch ernstlich krank dort meldete,
wurde man mitunter weggejagt, wie es mir selbst
erging, als ich ganz geschwollene und entzün=
dete Füsse hatte. Das Küchenpersonal war auch
sehr unkameradschaftlich: uns gaben sie dünne
Suppen und für sich selbst machten sie fortwäh=
rend gute und dicke Suppen und buken sich den
ganzen Tag Eierkuchen von unseren Rationen,
wodurch unsere Zuteilung noch mehr geschmä=
lert wurden. Auch der Lagerleiter beteiligte
sich an diesen Betrügereien: Als ich einmal zu
ihm in sein Häuschen gehen musste, sah ich
dort eine grosse Tüte Rosinen, aus welcher er
dauernd ass. Leider nährte sich auch die La=
gerpolizei nach einem ganz anderen Massstabe,
als es die Rationssätze gestatten durften: Ich
sah Lagerpolizisten mit 2 Broten unter dem Arm
in ihr Zelt verschwinden, während die anderen
Gefangenen sich zu 60 Mann ein Brot teilen
mussten! Alle, die ich soeben erwähnte, waren
d e u t s c h e Kameraden!!


      Es muss etwa der 3. Mai gewesen sein, als das
Martyrium von Kreuznach begann, denn wir hat-
ten ja keinen Datums- oder Zeitsinn mehr, weil
man uns bei der Gefangenennahme alle Uhren, Kalen=
der usw. Weggenommen hatte. Die Uhrzeit konnten
wir nur ungefähr nach dem Stand der Sonne schät=
zen - sofern sie schien. - Es befanden sich
ca. 124 000 Mann in diesem Lager.

     Die Verpflegungsausgabe war nicht planmässig
geregelt, sodass man nie wusste, wann es an
einem Tage die Rationen gab oder ob überhaupt

Verpflegung ausgegeben würde. Mitunter erfolgte
die Ausgabe sogar erst abends 9 Uhr oder in der
Nacht, sodass man in der Dunkelheit die Portio=
nen nicht teilen konnte. In der ersten Zeit gab
es nur kalte Kost nach amerikanischer Art. Wäh=
rend der deutsche Soldat an kräftige Kost, wie
Komissbrot, Büchsenfleisch und ähnliches als
kalte Kost gewöhnt ist, so bekamen wir hier
meist weisse Keks und diverse Delikatessen, je=
doch in solch kleinen Mengen, dass kein Mensch
nur in entferntesten satt werden konnte. Später,
als die Küchen aufgestellt waren, gab es auch
Suppen, wenn auch nicht täglich und nicht zu
bestimmten Stunden, dazu noch dünn und wenig,
etwa 1/4 Ltr. pro Mann. Weil uns den ganzen Tag
die Langweile plage, haben wir uns die Mühe
gemacht und uns aus den Puppenstubenrationen
etwas zurechtgebaut. Z.B. wurde Milch= und
Eierpulver, welches wir grammweise erhielten,
mit Zucker und Wasser vermengt und auf eine
Scheibe Weissbrot gestrichen als `Torte` ver=
zehrt. Manchmal wurde dieser Aufstrich auch an
glühendem Koks gebacken und schmeckte dann wie
frischer Kuchen. Satt geworden ist keiner davon.
     Da uns allen die Messer weggenommen worden
waren, wurden wir erfinderisch und haben das
Brot mit Konservendeckeln geschnitten. Auch Löf=
fel mussten wir uns ohne Hilfe von Handwerkszeug
selbst anfertigen, indem wir einen Konservendosendeckel
zu einem Dreieck zusammenfalteten und unten ein
Holzstäbchen hineinsteckten. Primitiv wie die
alten Germanen mussten wir uns behelfen.
     Brot erhielten wir erstmalig am 1. Pfingstfei=
ertag. Dieses Datum erfuhren wir von Bauers=
frauen, die am Zaun entlanggingen und uns es
zuriefen. - Es gab aber nur ganz frisches weiches
schneeweißes Brot, welches wie Watte war und
überhaupt nicht sättigte. Im Anfang mussten
sich 60 Mann in ein 1000=gr=Brot teilen, dann
28 Mann, später 10 Mann, sodass es durchschnitt=
lich dann 200 gr pro Mann gab. Es wurde aber
immer wieder wie ein Wunder angesehen, wenn es
Brot gab, auch wenn es manchmal nur 1/2 Scheibe

pro Mann war. Dieses war natürlich in Nu ver=
speist bei d e m Hunger, den wir hatten. Als
es eine ganze Scheibe gab, wurde es auch ver=
kauft und die Kameraden verlangten 25 - 30 M
für eine Scheibe, sofern einer noch Geld bei
sich hatte.
     Sehr bald bürgerte sich Zank und Streit,
Prügeleien und sehr schlechtes Benehmen unter
den Kameraden ein mitunter nur wegen Kleinig=
keiten, meist aber anlässlich der Portionsver=
teilungen. Man kann diesen Zustand ruhig 'Mord
und Totschlag' nennen. Bei solchen wüsten
Szenen, die ich bei Brot= oder Suppenausgaben
mit ansehen musste, habe ich versucht, Frieden
zu stiften - aber erfolglos. Die vernünftigen
Kameraden, mit denen ich eine friedliche Unter=
haltung führen konnte, sind zu zählen, so wenig
waren es. Leider waren einige unserer Zug= u.
Gruppenführer so gemein, dass sie uns bei den
Verteilungen betrogen, indem sie mehrmals für
sich grössere Rationen entnahmen und sogar
ganze Gruppenportionen für 10 Mann einfach un=
terschlugen. Einmal hat ein Gruppenführer für
20 Mann Käse selbst gegessen und ein anderer,
ein Blockführer, eine ganze Konservendose Zucker
für 50 Mann in seine Tasche gesteckt. Ein wei=
terer Blockführer hatte sogar 18 Weissbrote in
seinem Erdloch versteckt, die teils bereits ver=
schimmelt waren - wir aber mit unseren kärglichen
Portionen hungerten weshalb diese Verbrechen
um so härter verurteilt werden mussten!
     Aus dem gleichen Grunde wurde auch einmal das
gesamte Küchenpersonal herausgeschmissen, weil
sie nicht nur so üppig lebten, wie ich bereits
berichtete, sondern weil einer davon sogar
einen ganzen Rucksack voll Zucker zur Seite
gestellt hatte.
     Obwohl die Lagerpolizei aus deutschen Un=
teroffizieren und Feldwebeln bestand, waren
sie so hart zu uns, ihren eigenen Kameraden,
und sie erklärten uns bei jeder Gelegenheit:
Ihr habt überhaupt keine Rechte, Ihr seid doch
Gefangene! Aber zu essen hatten sie den ganzen
Tag, weil sie sich dauernd bei den Küchen auf=

hielten. Wir aber durften uns nicht einmal an
der unteren Lagerstrasse aufhalten, wir durften
nicht sehen, was sich im Küchengelände abspielte.
Und den ganzen Tag sahen wir sie rauchen, wir
aber bekamen keine Zigaretten -. Sie hatten auch
gute Zelte und spürten nichts von Regen, Kälte
und Schlamm, während wir Tag und Nacht unter
freiem Himmel auf dem blanken Acker aller Wit=
terungsunbilden schutzlos ausgesetzt waren! Wir
litten so sehr darunter, dass wir viele Nächte
im Lager herumlaufen mussten, weil ein Sitzen
oder Liegen wegen Schlamm und Regen überhaupt
nicht möglich war. Wir setzten uns, wem dies
möglich war, nachts auf Marmeladeneimerchen,
fielen aber viele Male, wenn man einschlief,
in den Schlamm - es war ein Jammer und ein
Elend hier auf diesem Platze, wir fürchten uns
schon am Tage vor jeder neuen Nacht!
     Das Sanitätspersonal war auch nicht besser
als die Küchen- und Polizeileute: sie mögen wohl
einzelnen schwerkranken Kameraden geholfen haben,
denn die zwei Sanitätszelte (bei ca. 700 Mann
Belegschaft!) waren dauernd bis auf den letzten
Platz überfüllt - aber im grossen und ganzen
haben sie nur in ihre eigene Tasche gearbeitet:
den Patienten gaben sie Suppen und sie selbst
behielten die ganze kalte Kost für sich zurück,
auf die doch die Kranken Anspruch hatten! Ein
Zelt hatten sie über dem Kopf, aber kein Mit=
leid für andere, dafür Betrug und Brutalität,
wenn einer von uns etwas wollte. Einmal musste
ich nachts wegen heftigen Leibschmerzen und
Durchfall zu einem solchen Zelt gehen und um
Hilfe bitten - ich wurde jedoch abgewiesen mit
dem Bemerken, er könne den Apotheker nicht
wecken! Ich durfte auch nicht in das Zelt hinein
zum Schlafen, was mir doch schon eine grosse
Hilfe gewesen wäre. An einem Nachmittag lag
ich einige Stunden vor dem Sani-Zelt mit grossen
Schmerzen, erhielt aber lediglich 3 Tabletten
ohne jegliche andere Hilfe und wurde durch einen
Oberfeldwebel energisch vom Platz verwiesen.

Als das Lager eines Tages völlig gefüllt war,
überflogen die Amis das Lager täglich mehr=
mals ganz niedrig mit Flugzeugen (Störchen)
und machten von uns traurigen Gestalten Auf=
nahmen für ihre Wochenschau. Abwurf von Lebens=
mitteln wäre tausendmal gescheiter gewesen!
     Ein ganz besonders schmerzlicher Uebelstand
machte sich schließlich noch bemerkbar: In=
folge der anfangs erlittenen Hungerzeiten
und auf Grund der sehr spärlichen Beköstigung
hatten viele von uns überhaupt keinen Stuhl=
gang - ich z.B. 12 Tage nicht -, dann aber
ging es so hart und schmerzhaft, dass wir
stöhnen mussten und es trieb einem die Tränen
in die Augen, wenn man sich 1/4 Stunde abquälen
musste. Und nach der ersten warmen Milchsuppe
mit Pflaumen und Rosinen stellte sich wiederum
so schnell Durchfall ein, dass wir den Abort
garnicht mehr erreichen konnten, da er ca. 300m
von unserem Erdloch entfernt war. Dann folgte
wieder eine lange Zeit ohne jegliches Aufsuchen=
müssen des Abortes und etwa am 32. Tag konnte ich
dies endlich wieder einmal tun ... . Man darf sich
nicht wundern, wenn wir nach Beendigung der Ge=
fangenschaft später mit allerlei Krankheiten und
Leiden behaftet sein werden.
      Heute, Sonntag, den 27. Mai 1945 bin ich nun
bereits einen Monat in Gefangenschaft, ich
hätte selbst nicht geglaubt, dass ich diese
Leiden so lange aushalten würde, während unzäh=
lige Kameraden inzwischen auf der Wiese vor dem
Sanizelt ihr ärmliches Leben ohne Hilfe ausge=
haucht haben. Die Angehörigen sind in keinem
einzigen Falle benachrichtigt worden, da man
die Papiere der Gefangenen ja ganz unten im
Eingangscamp aufbewahrt und die Toten einfach
auf der gleichen Wiese verscharrt werden, ohne
irgendwelche Formalitäten. Wenn wir nicht selbst
untereinander die Adressen ausgetauscht hätten,
so könnte man überhaupt nicht feststellen, wer
überhaupt dahingeschieden war.

Jeden Abend graut mirs vor einer neuen Nacht!
Unser Blick richtet sich besorgt gen Himmel,
wenn schwarze Wolken am Horizont heraufziehen.
Wird es wieder regnen? Wird es trocken bleiben,
dass wir trotz der Bodenkälte wenigstens auf
dem Boden liegen können?
      Und wir denken Tag und Nacht an daheim -
unsere Frauen haben keine Ahnung, wo wir uns
befinden, sie wissen nicht, ob wir überhaupt
noch leben, vielleicht glauben sie, wir sind
wenigstens in Baracken untergebracht - wir aber
sagen immer, es sei gut, dass es unsere Frauen
n i c h t   wissen, wie es uns geht, sonst wür=
den sie sich noch mehr sorgen. Aber auch wir
haben keine Ahnung, wie es den Lieben daheim
jetzt geht, was die Amis mit ihnen machen, was
aus unseren Wohnungen geworden ist. All diese
Gedanken an daheim quälen uns und wir bemühen
uns mitunter sogar, n i c h t   an daheim zu
denken, um uns das elende Dasein nicht noch
trauriger zu machen.
      32 Tage haben wir nun gedöst, da wir ja
keinerlei Beschäftigung haben. Ich besitze
kein Buch, kein Papier, keinen Bleistift -
uns ist ja alles abgenommen worden! Aber heu=
te, am 28. Mai, überliess mir ein junger Kamerad
ein kleines Notizbuch und einen Bleistiftstum=
mel, wofür ich aber   z e h n   Mark bezahlen muss=
te, da er sich eine Zigarette kaufen wollte.
Diese verkauften die amerikanischen Posten für
10 M, später kosteten sie sogar 30 und zum Schluss
50 M das Stück! Eine Tagesration Brot wurde
mit 100 M gehandelt, eine Scheibe 25 M, ein
Päckchen Tabak mit 120 M. Diese Geschäfte
wurden auf der unteren Wiese abgeschlossen.
Man nannte diesen Platz 'Monte Carlo', weil
hier 17 + 4 gespielt wurde und andere Glücks=
spiele. Es gab hier Umsätze von 1000 und 1200 M,
die mancher Kamerad verspielte oder gewann,
daher auch die horrenden Preise für Brot oder
Suppe, da in den Augen der Spieler das Geld
überhaupt gar keinen Wert mehr hatte.

      Ab heute darf sich niemand mehr auf der
Querstrasse vor der Küche aufhalten, wer er=
wischt wird, muss Arbeitsdienst verrichten,
Steine sammeln und Wasser tragen, viele Kannen.
Stundenlang vom oberen Ende des Lagers bis
herunter ins Tal zu den Küchen. Man bekommt aber
an diesem Tag keine Verpflegung. Der Grund ist
immer wieder: Wir sollen nicht sehen, was das
Küchenpersonal tut und wie sich die Lagerpoli=
zisten bereichern.
      Der Zank unter den Gefangenen wird immer
schlimmer: vorige Nacht erlebte ich sogar, wie
mehrere Kamaraden sich gegenseitig aus den Erd=
löchern herausjagten, wo sie sich zum Schlafen
hineingelegt hatten. Diese wüsten Szenen werden
von Tag zu Tag schlimmer, schuld ist der Hunger
und die Qual des Eingesperrtseins - die Nerven
jedes Einzelnen werden täglich schlechter!
      Stets, wenn wir von einem Camp in ein anderes
überführt werden, glaubt man, dass es ein Schritt
weiter in die Freiheit sei - niemand weiss etwas
Genaues und Gerüchte gehen um..... Jedes lautet
anders! Der Inhalt unserer Unterhaltung ist
aber immer der gleiche: Wann kommen wir von
hier heraus? Wann gibt es die nächste Suppe?
Wieviel Mann bekommen heute ein Brot? Gibt es
heute Portionen? - Und jeden Tag ist es wieder
das Gleiche.....
      Wochenlang haben wir uns kaum gewaschen, nicht
rasiert; das Borgen eines Rasierapparates oder
einer Klinge kostet stets einen Teil der so
knappen und kostbaren Verpflegungsration. Tag
und Nacht müssen wir unsere Kleidung anbehalten,
Läuse machen sich bereits bemerkbar. Wir haben
es schlechter als ein Stück Vieh: dieses hat ein
Dach über den Kopf, einen warmen Stall und ge=
regelte Ernährung - wir aber haben nur den
blanken und oft nassen Erdboden und müssen zu=
frieden sein, wenn wir ein paar Gramm Nahrung
bekommen
      Einige Kameraden, die zu Hause als Handwerker

Ofensetzer, Maurer tätig waren, haben sich als
Kochstellenvermieter niedergelassen: aus nassem
Lehm haben sie Oefen gebaut und man kann seine
Konservenbüchse hinbringen und sich dort Was=
ser kochen oder etwas wärmen lassen. Koks muss
man aber mitbringen, etwa 6-8 Stück, die man
auf der Küchenwiese stehlen muss, man darf
sich aber dabei nicht erwischen lassen. So
haben wir uns aus den grammweise zugeteilten
Pulver selbst Suppen hergestellt, die natür=
lich besser waren als die zugeteilten. Man
musste aber den Kochstellenbesitzern für die
Inanspruchnahme des Feuers einen Teil der schon
so knappen Verpflegung abgeben, sonst liessen
sie einen garnicht heran.
      Es gab aber auch wahre Künstler unter diesen
Ofensetzern: An der Schauseite hatten manche
sogar künstlerisch sehr gut gelungene Gesich=
ter und andere Figuren eingearbeitet, teilweise
wirklich sehenswert! Und bei Kälte und Regen
hockten viele Kameraden um solche Oefen herum,
um sich zu wärmen, aber da man nicht überall
bekannt war, kam es vor, dass man mit gemeinen
Worten weggejagt wurde - Kameradschaft!...
      Mit dem freiwilligen Arbeitsdienst habe ich
schlechte Erfahrungen gemacht: Die Amis ver=
sprachen uns, wenn wir uns zur Arbeit meldeten,
nach Beendigung eine Portion warmes Essen.
Da man dauernd Hunger hatte und ich auch einmal
in den Genuss einer solchen Extraportion kommen
wollte, meldete ich mich zum Stacheldrahtziehen
und Pfähle einrammen. Als wir fertig waren,
bekamen wir jeder ein Stückchen Holz zum Feuer=
machen an der Kochstelle, aber nichts zu Essen!
Ein ander Mal mussten wir einige 18 Zentner
schwere Küchen an einen anderen Platz rücken.
Wir 12 Mann haben uns mit unseren schwachen
Kräften schwer geplagt und dafür wurden wir
jeder mit 3 rohen, sehr schlechten Kartoffeln
belohnt! Auch beim dritten Mal hatte ich das
gleiche Glück: Eisenfässer mit Teer mussten
wir 1 km weit bergauf rollen und statt Suppe
dafür zu bekommen, jagte uns der Lagerkommandant

fort mit dem Bemerken: "Wenn Ihr Euch nicht so=
fort zum Teufel schert, hetze ich die Lagerpo=
lizei auf Euch! Das war der Lohn und die Ar=
beit hat uns verhungerte Menschen doch so an=
gestrengt, dass wir sehnlichst auf die Suppe
gerechnet hatten. ...
      Heute, am 28. Mai, sollen angeblich die Ent-
lassungen beginnen. Ich bin auch beim Arzt ein=
getragen worden. Die Liste wurde auf eine Rolle
Clo=Papier geschrieben, weil nichts anderes
zur Verfügung stand.. Die reichen Amis hatten
nicht einmal ordentliches Papier für solche Ver=
waltungsarbeiten übrig! Die Kranken, Verwundeten
und über 50 Jahre alten sollten nach der Heimat
geschafft werden. Morgen soll ich mich nochmals
beim Sani melden. Ob ich wohl Glück habe? Ich
glaube noch nicht so recht daran - und wirklich
war es auch dieses nur eine Seifenblasse ...
      Nun scheint endlich einmal wieder die Sonne!
Wir sind ja so dankbar dafür! Wer ein Heim hat,
kann das garnicht ermessen! Wir sind ja so
bescheiden geworden und dankbar für jede Klei=
nigkeit, was man als normaler Bürger überhaupt
nicht beachten würde.
      Dienstag, 29. Mai. Zum ersten mal habe ich
die Nacht völlig durchgeschlafen, obwohl ich
die Zähne zusammenbeissen musste infolge der
Morgenkälte und des harten Erdbodens. Da die
ganze Fläche oft morgens voll Reif lag, hatten
wir heftige Schmerzen in den Knochen. Ab 3 Uhr
morgens froren wir meist so, dass wir unbedingt
aufstehen mussten und uns durch Herumlaufen
zu erwärmen versuchten. Aber diese Nacht war
ohne Regen und das war schon herrlich für uns.
Auch hatte ein Zwickauer Kamerad einen Topf
Kaffee um Mitternacht gekocht und mir früh
etwas davon gegeben - das hat gut getan! Und
die schönste Überraschung: Früh 5 Uhr 15 gab
es bei herrlichstem Sonnenaufgang schon die
Suppe - allerdings nicht einmal 1/4 Liter, aber

mit einigen Rosinen - wir sind ja so bescheiden
geworden! Die kalte Kost für die nächsten 24
Stunden war heute knapper als sonst:
2 Löffel Kaffeepulver, 2 Löffel Tomate, 1/2 Schei=
be Brot - die Stimmung kann man sich wohl vor=
stellen. In wenigen Minuten ist solch winzige
Portion gegessen. Mittags gab es noch 1/4 L.
Bohnensuppe und dann legten wir uns auf die
Erde und warteten sehnsüchtig auf den nächsten
Tag. Gott sei Dank, dass die Sonne schien, das
ersetzt uns die fehlende ausreichende Bekösti=
gung. Mitunter warfen mitleidige Bauern gekoch=
te Kartoffeln durch den Zaun, sofort stürzen
sich viele Kameraden darauf und balgen sich auf
der Erde herum, dass einem Angst werden kann.
Ich kann nur zusehen, denn dazu braucht man
Kräfte, die ich nicht mehr habe. So etwas ist
direkt lebensgefährlich. Als eine Bäuerin ein=
mal ein Säckchen gekochte Kartoffeln für einen
ihr bekannten Gefangenen brachte, warf ein Ami
jede einzelne Kartoffel unseren Kameraden ins
Gesicht, dass sie zersplitterten und auf den
Boden fielen als Krümchen, den leeren Beutel
gab er dann her ... Ein anderer Ami übergab einem
unserer Kameraden ein Päckchen, wobei er 150 M
für das Ueberreichen verlangte! Auch zertram=
pelten die Amis Brot und Zigaretten, die von =
draussen hereingereicht wurden, mit den Stiefeln.
Amerikanische Demokratie! Neger gingen nachts
durch unsere Camps und nahmen den Deutschen
die Ringe ab, wenn es nicht gutwillig ging,
wurden fast die Finger abgerissen, nur, um
den Ring zu ergattern.
      Erfahrungen über Menschenkenntnis kann man
hier auf diesem Platz am besten ergänzen und
erweitern: Wie mancher die Not seiner Leidens=
gefährten zu seinem Vorteil ausnützt, konnte
ich beobachten, als ich Zeuge war, wie unser
Gruppenführer uns erst die blanke dünne Milch=
suppe gab und dann zum Schluss für sich das
Dicke am Boden nahm, es war ein ganzes Koch=

geschirr voll, dazu noch voll Pflaumen und Ro=
sinen, die wir doch alle anteilig hätten bekom=
men müssen. So ein Gauner, er hatte 1 1/2 Liter
und wir 1/4, als ich aber protestierte, bekam ich
die gemeinsten Schimpfworte zu hören und musste
mich in eine andere Gruppe versetzen lassen,
sonst hätte ich es hier nicht mehr aushalten
können und wäre immer benachteiligt worden.
      Aber auch das Gegenteil gab es: In der neuen
Gruppe wird auch gerecht verteilt, aber auch heute
wieder haben sich Kranke aus dem Sanitätszelt
freiwillig wieder herausgemeldet, wie schon so
oft, da sie durch die Gaunereien des Personals
nie satt werden und fast verhungern. Ich selbst
bin so ershöpft, dass ich mich nur durch Liegen
erhalten kann.
      Wieder wird über Entlassungen gesprochen,
aber es ist wieder nur Gerücht! Es stehen zwar
täglich Transportzüge unten im Tal, aber es
handelt sich um Transporte zum Arbeitseinsatz
nach auswärts und nach Frankreich. Aber ab heute
erhalten Wasserträger und Steinesammler zwecks
Befestigung nasser Stellen an den Aborten endlich
eine Extraportion. Am Abend bekamen wir eine
Rote-Rübensuppe von sehr geringer Qualität.
      Schwarze Wolken stehen am Himmel - da können
wir uns wieder auf eine Regennacht gefasst ma=
chen.
      Mittwoch, 30. Mai: Auch diese Nacht hat ein
Ende und Gottseidank ist Petrus uns gnädig ge=
wesen: Es ist trocken geblieben. Das ist und bleibt
stets unsere grösste Sorge bei dieser elenden
Unterbringung. In der Nacht weckt mich mein
Freund Schorsch aus Zwickau und gibt mir heissen
Kaffee, dann führte er mich zum Austreten ans
obere Ende des Lagers, da ich in der Dunkelheit
allein nicht sehen und gehen kann. Eine solch
treue Seele ist hier ach so selten! Dan ma=
chen wir einen grossen Rundgang um das ganze
Lager, da wir vor Kälte nicht mehr liegen blei=
ben konnten. Wie pures Gold geht die Sonne auf,
die Küchen fangen an zu qualmen und nun spannen
wir schon wieder, ob und wann es etwas zu Essen

geben wird. Andere Gedanken gibt es ja kaum mehr.
Mit Wehmut sahen wir, wie Kameraden am Zaun von
Angehörigen aus der Nachbarschaft Liebesgaben er=
hielten, was uns versagt bleibt, da unsere Hei=
mat 500km von hier entfernt liegt. Wir dürfen
auch nicht schreiben, obwohl es uns versprochen
worden ist.
      Schon wieder regnet es und das Wandern muss
wieder beginnen. Heute wurden mehrere Diebstähle
entdeckt und geahndet: Die Diebe wurden an den
Händen zusammengefesselt durch die Lagerstrassen
geführt und mit Plakaten auf der Brust auf der
Wiese einen Tag und eine Nacht ohne Beköstigung
aufgestellt. Sie mussten auch vor der Wut der
Kameraden geschützt werden.
Die heutige Verpflegung war wieder ganz minimal:
28 Mann 1 Brot und je ein Löffel Eipulver,
Zucker, Tomate und 6 Rosinen ... Grosse Eregung
unter der Menge! Bei Regen und Kälte müssen wir
zum Registrieren antreten, Kranke, Rheinländer,
Westfalen und Hessen.
      Abends gab es eine dünne Erbsensuppe und viel
zu wenig. Niemals kann man satt werden. Da es
lange geregnet hat, stehen wir nun wieder im
Schlamm, in diesem Morast kann sich keiner set=
zen. Alle sind verbittert. Es ist ein Jammer,
dass unser Leben hier nur in diesem Dreck ab=
läuft. Es ist eine Kulturschande der Amerikaner,
dass sie uns hier so leiden, dulden und hungern
lassen, obwohl sie uns vor kurzem Baracken mit
Betten, Tischen und Stühlen versprochen hatten.
Kein wahres Wort war daran!
      Donnerstag, 31. Mai: Eine sehr schlechte Nacht
haben wir hinter uns, mit völlig durchnässten
Anzügen und Decken hockten wir - 7 Mann - in
einem Erdloch auf Eimerchen und versuchten,
so zu schlafen. Alles war voll Schlamm. 1/2 3
mussten wir aufstehen, da die Kälte und Nässe
uns nicht mehr ruhen liess. Der Himmel ist im=
mer noch so grau und ruhelos wandern wir herum,
der Hunger peinigt uns. Gegen 10 Uhr gibt es
warme und kalte Kost, beides zugleich, also
von einer richtigen Organisation keine Spur!

Dem Ami ist es ganz gleichgültig, ob wir unsere
Tagesrationen auf einmal, oder mitten in der Nacht
oder garnicht bekommen - wir dürfen nichts sagen
und müssen uns gefallen lassen, was man mit uns
macht. Uns wurde erklärt, wenn wir wieder ein=
mal Beschwerde einreichen würden, bekämen wir
am folgenden Tag überhaupt nichts zu essen!
Obwohl die Suppe heute gut war, reicht sie bei
weitem nicht aus, dazu 10 Mann 1 Brot, also
100 Gramm und wieder wie immer ein paar Gramm
kalte Kost.
      Mittags war Antreten für Handwerker aus Sach=
sen, Pommern und Preussen zu einem grossen Ar=
beitseinsatz. Die Glücklichen! Sie haben nun
bald diesen Schlammplatz hinter sich. Schon mel=
den schwarze Wolken wieder Regen an und es ist
recht kalt. Wir sollen aber auch garnicht froh
werden!
      Nachmittags gibt es eine grosse Neuigkeit:
Alle Leute mit weniger als 40% Sehkraft, alle
Amputierten und Schwerbeschädigten, bei uns 141
Mann, wurden zu einem Block 9 zusammengefasst.
Wir sollen in ein Wiesbadener Lazarett gebracht
werden. Es blieb aber ein frommes Märchen, es
ist nichts daraus geworden! Bis zu später Abend=
stunde warten wir nun schon vergeblich auf eine
warme Mahlzeit. Es gab aber nur ein wenig kaltes
Gemüse mit ein paar Fleischbröckchen. Wir sind
sehr enttäuscht.
      Freitag 1. Juni: Durch den Blockwechsel habe
ich nun auch kein Erdloch mehr und lag auf dem
flachen Boden die ganze Nacht. Ich fror so sehr,
dass ich mir um 5 Uhr Kaffee kochen liess, um
mich etwas zu erwärmen. Das ganze Lager wurde
schon wieder in neue Blocks eingeteilt und seit
gestern Abend bis heute 14 Uhr bekamen wir nichts
zu essen. Wir sind so hungrig, dass wir die Ver=
teilung kaum erwarten können. Wir sind sehr
froh über die wenn auch knappe Erbsensuppe und
über den Sonnenschein, der uns sehr gut tut.
      Wir müssen annehmen, dass der Ami die Absicht
hat, uns auszuhungern, denn es gab nur 1/2 Scheibe
Brot und einige Gramm kalte Kost, abends nur

1/4 Liter Bohnensuppe.
      Durch Zufall erwischte ich beim Blockwechsel
wieder eine Grube, die ich mit drei älteren Ka-
meraden teilte, darunter ein Buchhändler aus
Leipzig und ein Förster aus dem Kyffhäuser. Wir-
lich anständige Leute, mit denen man vernünftig
reden und sich auch mit ihnen gut vertragen kann.
Eine wahre Insel des Friedens und der Ruhe zwi-
schen dem Unfrieden und Streit der anderen ... .
Als herrlichen Abschluss des Tages, nachdem ich
mehr als einen Monat nichts zu Rauchen hatte,
aber niemals 50M für eine Zigarette geben
würde, habe ich mir heute Abend eine Pfeife
schwarzen Tee gegönnt - ein wahrer Hochgenuss,
wenn man keinen Tabak hat. Andere rauchen Kaffee,
was mir aber nicht schmeckt.
      Sonnabend, 2. Juni: Die Kälte hielt bis zum
Vormittag an. Alle haben Hunger und erwarten
mit Sehnsucht die Verteilung. Endlich um 12 Uhr
bekommen wir unser Teil. Heute sind wir aber
endlich einmal satt geworden, denn
wir bekamen sogar 133g Brot, Milch- und Ei-
pulver, Kaffee und Zucker, 20g Käse und Bohnen-
suppe. Aber eine Stunde später gab es schon
wieder Suppe, man sieht also, dass die Bekösti-
gung überhaupt nicht organisiert ist: dreimal
hintereinander und dann wieder mehr als 24 Stund-
den nichts. Aber wir waren wenigstens einmal
etwas zufriedener!
      Nach dem Essen wurde wieder ein Mann abgeführt,
der gestohlen hatte. Am Abend wurde noch bekannt
gegeben, dass in 3 Wochen die Entlassungen be-
endet sein sollen; ganz genau ist es ja nicht
eingetroffen, aber man hat doch am 22.6. damit
begonnen und das ist schon sehr viel wert!
      Sonntag, 3.6. Da die Wasserleitung repariert
werden muss, gibt es den ganzen Tag keine Suppe.
Dafür sollen wir "amerikanische Breakfast" -
Verpflegung bekommen. Vorher aber wurden die
Blocks schon wieder neu eingeteilt. Das stun-
denlange Stehen dabei fällt uns recht schwer,
da wir fast alle erschöpft sind und inzwischen
sind wieder viele Kameraden unten auf der Sani-
wiese in die ewigen Jagdgründe eingegangen.

Die heutige "amerikanische" Verpflegung erinnert
uns sofort an Puppenstuben oder Kinderkaufläden,
so winzig sind die portionsweise ausgegebenen
Lebensmittel: Kaltes Gemüse, Orangensaft, Kakako,
1 Löffel Milch. Drops, 2 Aprikosen, einige Gramm
Kaffee und Tee, 4 Keks und einige Blatt Clo=
papier. Alles nur grammweise, dazu eine Scheibe
Eierfleisch und dicke Spagetti aus Dosen. Das
soll für einen erwachsenen Menschen, der seit
Wochen nichts festes oder Kartoffeln gegessen
hat, 24 Stunden reichen! Manche Kameraden su=
chen sich schon Löwenzahn, Rübenblätter und Un=
kraut, um sich eine Suppe davon zu kochen. Sie
können sie aber nur mit Wasser ohne jegliche Zu=
taten bereiten. Durchfall ist an der Tagesord=
nung - kein Wunder!
      Montag, 4. Juni: Obwohl die Nacht mild war,
musste ich früh sehr bald aufstehen, da man
infolge des Liegens auf der harten Erde heftige
Schmerzen in den Knochen verspürt - man hat ja
fast kein Fleisch mehr am Körper.
      Im Nebencamp ist bereits 5 Uhr morgens Ver=
pflegung ausgegeben worden, wir nehmen an, dass
wieder grössere Transporte abgefertigt wer=
den sollen - bei uns dagegen ist alles ruhig.
obwohl wir doch so sehnsüchtig auf Abtransport
warten!
      Wir kommen uns manchmal vor wie Steinzeitmen=
schen, da wir u.a. gar kein Besteck besitzen.
Auch ich habe bisher meine Suppe trinken müs=
sen und die Büchse immer mit den Fingern aus=
gewischt, denn kein Tröpfchen darf ungenossen
bleiben. Nun habe ich mir auch einen solchen
Konservendosenlöffel angefertigt, schön ist
er nicht, aber ich kann damit essen! Schon
wieder wurden die Kriegsversehrten und die Leu=
te über 50 Jahre zum Abtransport aufgerufen,
es wurde aber leider nichts daraus, wie schon
so oft ... . Heute habe ich durch Zufall fest=
gestellt, dass man Bleistifte mit Konservendo=
sendeckeln spitzen kann.
      Dienstag, 5. Juni: Heute musste ich meine
Wäsche und Hose waschen, denn der Durchfall,

unter dem viele von uns immer noch zu leiden
haben, hat mir diesen bösen Streich gespielt.
Auch den Körper musste ich gründlich säubern,
obwohl das Wasser in dem von uns selbst gegra=
benen schmalen Kanal bereits dunkelbraun war.
Es war für mich eine Wohltat und ich hängte meine
Sachen an den Stacheldrahtzaun zum Trocknen.
Ich musste aber sorgfältig Obacht geben, dass
kein Ami kam, denn sie haben bisher immer die
aufgehängten Sachen, wenn wir durch den Regen völlig
durchnässt waren, mit Benzin übergossen und an=
gebrannt und wenn Decken aufgehängt worden waren,
haben die Amis diese mit Seitengewehren mehrfach
zerschlitzt!
      Mit einer geborgten Schere versuchte ich,
meinen Vollbart, der das ganze Geischt überwu=
ert, zu entfernen, er ging aber nicht herun=
ter.
      Die kalte Kost war heute so winzig, und nur
1 Brot für 14 Mann, dazu nun 40 Tage in Gefan=
genschaft - durch die Nächte unter freiem Him=
mel, durch das Liegen auf der harten Erde und
die gänzlich unzureichende Verpflegung bin ich
so erschöpft, dass ich kaum mehr gehen kann.
      Mittwoch, 6. Juni: Früh 1/2 5 Gewitter und stunden=
langer Regen. Wieder mussten wir auf und wandern,
Brot gab es heute überhaupt nicht, nur dünne
Suppe und am Nachmittag wurden wir durch neuen
Regen wieder völlig durchnässe. Unsere Sachen
werden garnicht mehr trocken und durch den Fäs=
sertransport bin ich so ermattet, dass ich mich
unbedingt legen müsste. Dies ist aber nicht mög=
lich, da die Schlafgruben voll Schlamm sind!
      Wann werden wir wohl einmal aus diesem Jam=
mertal erlöst? Das ist täglich unser heissester
Wunsch - aber immer vergeblich!
      Heute wurden wie endlich mittels Pulverspritzen
entlaust: eine Wohltat!
      Donnerstag, 7. Juni: Bodenkälte und Durchfall
zwangen mich bereits um 5 Uhr früh zum Aufstehen,
aber die aufgehende Sonne gibt uns etwas Trost.
Die kalte Kost ist so spärlich wie immer.
Wieder hat sich ein gemeiner Kameradendiebstahl
ereignet: der Gruppenführer nebenan hat den

Zucker für die ganze Gruppe für sich behalten!
      Während der Rationsverteilung fand wieder
Entlausung statt, sodass man nicht wusste, wo=
hin man zuerst gehen soll, die Organisation ist
eben hier ganz schlecht. Mittags erfolgte wieder
Blockwechsel, warum, ist nicht zu erfahren. Ich
habe aber diesmal ein ganz grosses Glück, denn
ich fand eine eigene Wohnung in Gestalt eines
Einmannloches, welches sich mein Vorgänger
prima gegraben hatte. Es sind sogar 3 Nischen
eingearbeitet, wo man die Blechbüchsen und die
Decke aufbewahren kann. Ich musste allerdings
etwa 3 Stunden Schlamm herausschaffen, bis trock=
ner Boden kam, aber nun kann ich mich hinlegen
und mich von dieser Anstrengung ausruhen. Auch
fand ich ein grössres Eimerchen, worauf man sich
Nachts bei Regen setzen kann, ich bin über diese
kleinen Erungenschaften so glücklich, was ein
Mensch, der Kreuznach nicht durchgemacht hat,
vielleicht garnicht verstehen kann! 1/2 10 Uhr
abends gab es eine Milchsuppe mit einer
Pflaume....
      Freitag,8. Juni: Ein Glück und eine Wohltat
ist es für uns alle, dass jetzt die Nächte et=
was wärmer sind, da wir nun länger liegen und
ruhen können. Aber die Beköstigung war wieder
sehr knapp und gering und es regnete wieder den
ganzen Tag. Wie wir darunter zu leiden haben,
das kann uns kein Mensch zu Hause nachfühlen,
denn wir müssen doch nun wieder den ganzen Tag
herumlaufen und durch den Schlamm waten, was
uns ausserordentlich ermüdet und schlapp macht.
Man kann sich nirgends setzen oder legen und wir
verzweifelten manchmal bald. Endlich am Abend hört
es auf zu regnen, aber die Löcher sind voll
Morast. Nun müssen wir auch in der Nacht noch
herumwandern, Anzug und Decke zum auswringen...
Als Beköstigung gab es nur eine Suppe; Kakao,
Zucker und Eipulver wurden einbehalten mit dem
Bemerken, dies käme in die Suppe. Es war aber
gelogen, wir nehmen an, dass das Küchenperso=
nal diese Zutaten wieder für sich verwendet hat.

Sonnabend, 9. Juni: Von meinem Nachbar, einem
Mechaniker aus Fürth, wurde ich eingeladen,
mit in seiner Grube zu schlafen, da die meinige
wieder voll Schlamm war. Er selbst hatte Pappe,
auf die wir uns legen konnten und ich hatte
eine Decke, die er nicht besass, sodass wir uns
beide damit zudecken konnten. Unsere Sachen
sind sehr nass und wir rücken eng zusammen, um
uns zu wärmen, so helfen wir uns gegenseitig.
Ein grosser Trost war es deshalb für uns, dass
uns die Sonne bis zum Abend erfreute.
      Seit 18 Stunden haben wir nichts bekommen
und die Portionen wurden daher sofort mit einem
wahren Heisshunger verzehrt.
      Ich habe mir einen kleinen Spiegelscherben
geborgt: Nun möchte ich mein Gesicht überhaupt
nicht mehr sehen: die Haut schält sich und das
ganze Gesicht ist der reinste Urwald. Ich habe
aber keine Lebensmittel übrig und kann deshalb
den Frisör nicht in Anspruch nehmen.
      Grosser Aufruhr im ganzen Lager: Wir sollen
mit Konservendosen sämtliche Erdlöcher der ge=
räumten Blocks 8 und 9 zufüllen! Alle weigern
sich, da uns ausgehungerten schwachen Menschen
diese Anstrengung nicht zugemutet werden kann.
So mussten 10 Mann mit Schaufeln dazu bestimmt
werden, die dann eine Suppe dafür bekamen. Sie
sollte von der Küche gesondert geliefert werden,
aber es ist wieder ein schöner Betrug gemacht
worden: Diese Suppe für die 10 Mann wurde genau
aus unseren regulären Kübeln ausgegeben, sodass
uns diese 10 Portionen bei der schon knappen
Zuteilung noch mehr fehlten.
      Wir sind glücklich, dass uns die Sonne unse=
re Kleidung und die Erdlöcher getrocknet hat.
Aber die Schuhe sind innen noch ganz nass und
sind so kaputt, dass sie bald nicht mehr an den
Füssen halten. Die Strümpe bestehen nur noch
aus Löchern....
      Sonntag, 10. Juni: Diese Nacht konnte ich
überhaupt nicht schlafen infolge grosser Schmer=
zen in den Knochen durch das Liegen auf dem
harten Boden. Auch war die Nacht kalt und wir
konnten uns auch am Vormittag kaum erwärmen.

Auch warten wir schon wieder sehnsüchtig auf die
Portionen, denn wir werden ja nie satt. Es gab
aber nur einige Maiskörner, 2 Löffel Tomate,
200 gr Brot und einige gr. Tee, das war alles.
Auf dem Wege von der Küche bis herauf zu uns
ist uns aus den Kübeln Suppe gestohlen worden,
aus diesem Grunde gab es natürlich wieder Auf=
ruhr. Als Ersatz durften wir aber Sonnenschein
geniessen.
      Montag, 11. Juni: Bei uns wurden die Thüringer
zahlenmäßig erfasst, aber im Nebencamp erfolg=
ten wieder umfangreiche Abtransporte. Wir wundern
uns jeden Tag darüber, dass bei uns garnichts
geschieht. Das macht uns direkt fertig. Vor 8
Tagen sollten wir schon nach Wiesbaden kom=
men, aber es war nur ein Traum. Abends sollte
es Milchsuppe mit Brot darin geben, aber wir
bekamen nur warmes Salzwasser; das Brot hat in=
zwischen andere Liebhaber gefunden: Küchenper=
sonal, Lagerpolizei ...
Wer dies liest, was ich hier alles berichte,
könnte auf den Gedanken kommen, dies habe ein
ganz grosser Meckerer geschrieben, aber wir kön=
nen leider nur klagen, da wir in jeder
Beziehung nur Anlass zu Beschwerden haben, da
nichts, aber auch garnichts in Ordnung oder
reichlich genug ist, um einigermassen zufrieden
leben zu können. Dagegen können sich Einzelne
dick und voll essen, wir aber müssen mit dem
Wenigen vorlieb nehmen, was man uns gibt ...
      Der Himmel ist schon wieder grau und unsere
Sorge gilt schon wieder der kommenden Nacht.
Durch die mangelhafte Ernährung und die Witterungs=
unbilden ist man so schwach, dass man sich die
Erlösung sehnlichst herbeiwünscht.
      Dienstag, 12. Juni: Wieder hat es in der Nacht
geregnet und wir frieren in den nassen Sachen,
Anzug und Decke voll Wasser - wie soll man das
auf die Dauer nur aushalten; dabei muss ja selbst
ein gesunder Mensch einmal zugrundegehen. Die
Amis denken überhaupt nicht daran, uns in Ba=
racken zu legen, sie leben in Kreuznach=Stadt
in den noch unzerstörten Häusern und wissen

vermutlich überhaupt nicht, unter was für trau=
rigen Verhältnissen über 100 000 deutsche Män=
ner hier leben bezw. vegetieren müssen.
      Den ganzen Tag regnet es weiter, wir sind
nass und frierern und verzweifeln fast. Durch
das dauernde Stehen und Laufen im Morast ohne
liegen zu können, fallen viele um vor Erschöp=
fung und es gibt wieder zahlreiche Todesfälle.
Eine Suppe und nur 3 Löffel rote Rüben sind un=
sere Nahrung...
      Mittwoch, 13. Juni: Wieder eine Regennacht.
Ich sass auf meinem Eimerchen und fiel mehrmals
in den Schlamm, sobald ich etwas einschlief;
Hände, Gesicht und Anzug, auch die Decke sind
nun voll Schlamm - man muss unwillkürlich wei=
nen aus Verzweiflung, wir haben schon versucht,
durch den inneren Stacheldraht zu kriechen,
um entweder zu fliehen oder erschossen zu wer=
den - nur, um aus diesem Jammertal herauszukommen.
Sehnlichst erwarten wir die Portionen, diesmal
200 gr Brot und die winzigen Kleinigkeiten,
die in einigen Minuten verzehrt sind.
      Wir Sachsen wurden neu zusammengestellt und
ich erhielt dadurch einen neuen Gruppenführer,
der uns gleich bei der ersten Verteilung derartig
betrog, dass ich ihn im Namen aller Kameraden
sofort zum Teufel jagte. Es wird gestolen,
betrogen und unterschlagen - es scheint kaum
mehr ehrliche Menschen hier zu geben, alles
aber nur daher, weil jeder unbedingt mehr braucht
und essen möchte, als es normalerweise gibt.
      Endlich Sonne! Möchte sie uns doch recht
bald die Schlammlöcher trocknen!
      Da die Suppen immer nicht reichen, wurden
in den Küchen zuletzt immer mehr Kübel Wasser
in die Kessel geschüttet, sodass die Suppen
immer dünner werden.
      Plötzlich geht das Gerücht um, die Sachsen
sollen geschleust werden. Darunter versteht man
die Vorbereitung zum Abtransport. Aber auch
heute blieb dies nur ein Märchen...
      Ich habe durch erneutes Umlegen keine Grube
mehr und ging umher, um alte Kameraden aufzu=

suchen. Dabei fand ich wieder meinen alten Ka=
meraden aus Fürth, der mich in seine Grube ein=
lud, wo ich mit ihm schlafen konnte. Mit meiner
Decke machten wir Kompanie, aber die Kälte war
so schmerzlich, dass wir wieder wandern mussten.
      Donnerstag, 14. Juni: Ab früh schon Sonne!
Dazu sogar 1/4 Brot und etwas Fett - wir waren
sprachlos! Aber die Portionen wieder so winzig
wie immer.
      Ich habe einen neuen Nachbar, einen Tisch=
ler aus Leipzig, Georg Hartung, welcher fleissig
ein Schlafloch für uns beide grub und zwar mit
seiner Gabel und ich half ihm mit meinem Kon=
servendosendeckel.
Heute gab es zum ersten und einzigen Mal ein
anständiges Essen, aber in einer Zusammenstellung,
wie ich es noch nie gesehen habe: 1/2 Dose dicke
Nudeln, 2 Löffel Gulasch, etwas Sauerkraut und
darauf rote Rüben. Wir sind sogar fast satt ge=
worden. Ich nehme an, dass heute wohl alle ein=
mal zufrieden waren, denn eine solche Mahlzeit
hatten wir überhaupt noch nicht bekommen. Wir
haben stundenlang darüber diskutiert!
      Am Nachmittag gruben wir weiter, aber es strengte
uns sehr an, da man keine Hacke und keine Schau=
fel hat, die hierzu unbedingt nötig wären. Ich
falle dauernd um vor Erschöpfung.
      Um etwas mehr zu Essen zu bekommen, habe ich
3 Stück Kernseife gekauft, die hier verteilt
worden war. Sie wird mit 25 M gehandelt. Dafür
habe ich Lebensmittel eingetauscht von Kameraden,
die wegen Magenkrankheit nicht alles essen kön=
nen und sich für das Geld wieder Weissbrot von
anderen Kameraden kaufen, wovon eine Scheibe
ebenfalls 25 M kostet.
      Es gibt aber doch noch gute Kameraden: Mein
Freund Schorsch ist in der Nacht aufgestanden,
damit ich besser liegen kann! Und während ich
früh 6 Uhr nach dem Abort wanderte, was ein
weiter Weg ist, hat er schon wieder angefangen,
unsere Grube weiter zu graben. Ich habe ihn
zwar dann abgelöst, musste aber wegen Erschöp=
fung bald wieder aufhören. Das Graben geht sehr

langsam, da wir immer wieder umfallen... Wir essen
jetzt trockenen Kaffee, da der Durchfall sich
schon wieder eingefunden hat. Auch habe ich
schon wieder dick geschwollene Füsse, aber der
Arzt lehnt die erbetene Hilfe ab.
      Sonntag, 17.6.: Um 4 Uhr früh ist es so kalt,
dass man vor Schmerzen nicht mehr liegen kann.
Wir sehen uns besorgt die grauen Regenwolken am
Himmel an und verzehren unsere dünne Suppe mit
3 Blättern Spinat.
      Heute habe ich mich nach Frankreich als Dol=
metscher gemeldet, auch nur, um endlich von diesem
Dreckplatz wegzukommen. Vielleicht haben wir
dann endlich einmal ein Dach über dem Kopf. Ich
weiss, dass ich dann länger auf die Entlassung
warten muss, aber man kann es ja hier kaum noch
aushalten. Meine Füsse sind so geschwollen, sie
haben gar keine Form mehr und ich muss ohne
Schuhe zur Sprachprüfung gehen. Eine wahre Er=
lösung ist es für uns, dass wir uns in der war=
men Sonne austrocknen können, ein Geschenk des
Himmels! Nach Hause dürfen wir immer noch nicht
schreiben, wir dürfen garnicht an daheim denken,
denn sonst wird die Stimmung immer noch schlech=
ter. Und die vielen Frauen, deren Männer nun
bereits hier schon ihr Leben ausgehaucht haben,
sie haben noch nichts davon erfahren. Tausende
sind es schon, die nicht mehr heimkehren können ...
      Montag, 18. Juni: Heute habe ich die Dolmet=
scherprüfung bestanden: Ich wurde beauftragt,
anlässlich des Transportzuges, den man stehen
sehen konnte, die entsprechenden Anweisungen für
die Verlade= und Entlademannschaften in fran=
zösischer Sprache zu erteilen und musste die
an mich auf Französisch gestellten Fragen eben=
falls beantworten. Der Prüfer war zufrieden und
notierte mich: Name, Camp, Block, Gruppe. Als
Liste für die Namen musste er auch eine Rolle
Clo=Papier verwenden, da anderes nicht vorhanden
war. O, Amerika! Selbst lebten die Amis direkt
friedensmäßig, aber für die Deutschen war
nicht einmal das Nötigste da. - Hoffentlich

darf ich recht bald mit fort, ich bin für den
vierten Transportzug vorgemerkt, für jeden Zug
sind 3 Dolmetscher vorgesehen. Es handelt sich
um Bau= und andere Handwerker, die in Frankreich
beim Wiederaufbau eingesetzt werden. Bei der
Dolmetscherprüfung habe ich eine Frankfurter
Zeitung erwischt, ich bin sehr glücklich darü=
ber, da ich seit meiner Gefangenennahme überhaupt
keine einzige mehr gesehen habe. Ich liege nun
in meiner Grube und lese, lese und möchte gar
nicht mehr aufhören! Die Kameraden sind nun
auch neugierig geworden und ich beginne, um
ihnen eine Freude zu machen, einzelne Artikel
vorzulesen, worüber sich alle sehr gefreut ha=
ben. Als ich tatsächlich jede Zeile in mich
hineinverschlungen habe, macht das Blatt die
Runde und es wurden direkt Fristen vereinbart,
wie lange sie jeder lesen durfte, damit recht
viele sich daran laben konnten.
      Es hat sich schon herumgesprochen, dass ich
heimlich in meinem Loch Tagebuch schreibe -
in einem kleinen Büchlein mit 68 Seiten zwar
nur und in Steno, auch muss ich es schnell in
den Strumpf stecken, wenn ein Ami kommt, da
es keiner sehen darf, aber alle Kameraden sind
begeistert davon und man rät mir, es nach
unserer Entlassung unbedingt drucken zu lassen
(wenn dies möglich wäre) - 100 000 Kreuznacher
Leidensgefährten würden es auf jeden Fall dann
kaufen! Man ruft mich allgemein "Doktor",
diesen Namen hat mir das Schreiben eingebracht.
      Am Nachmittag mussten wir eine Abordnung
zum Lagerkommandanten schicken, da die Suppe
noch dünner war, als sonst. Erfolg: Ein klei=
ner "Nachschlag" - ein Trinkbecher voll ...
      Immer wieder müssen wir zusehen, wie aus dem
Nachbarcamp Züge mit Gefangenen abtransportiert
werden - wann werden wir wohl mal an die Reihe
kommen??
      Ich muss mich endgültig damit abfinden,
meinen riesigen Vollbart zu behalten, denn der
Frisör will ihn nur gegen Hergabe von Lebens=
mitteln entfernen. Für 5 M hat er mir lediglich
meine Haare verschnitten. Den Bart kriegt er

mit der stumpfen Schere nicht herunter. Am
Abend bringt er mir eine Suppe, die 30 M kostet
und nimmt gleich noch 25 M Vorschuss mit für
eine Suppe, die ich morgen bekommen soll. Er
kann das, da er sich ja immer wieder Essen durch
seine Arbeit verdient. Für diese 30 M will er
sich eine Zigarette beim Ami kaufen. Ich habe
dies noch nicht ein einziges Mal fertiggebracht,
da ich behaupte, dass uns etwas mehr zu essen
dienlicher ist, als Rauchen, wenn man schon so
schwach ist, wie wir es sind.
      Abends 9 Uhr traten die Handwerker und auch
mein Erdlochgenosse Schorsch zum Transport nach
Frankreich an. Es wurden auch Schildermaler
gesucht und ich meldete mich sofort. Der Lager=
leiter packte mich aber am Jackett und schmiss
mich in die Menge der dortstehenden Kameraden
und sagte, ich hätte mich doch als Dolmetscher
gemeldet und soll mich momentan zum Teufel sche=
ren! Und ich möchte doch so gern von hier fort...
      Dienstag, 19. Juni: Heute früh gab es das
erste und einzige Mal heissen Bohnenkaffee;
das sollte jetzt jeden Tag so sein, weil das
Wasser nicht trinkbar ist, aber es gab nie wieder
welchen. Immer nur Versprechungen seitens der
Amis! Dafür gab es aber heute keine Suppe, die
uns lieber gewesen wäre. Wir haben grossen
Hunger, denn es sind 14 Stunden vergangen, seit
der letzten Verteilung. Auch habe ich heute
zum ersten Mal Gras sammeln können als Unter=
lage zum Schlafen, nun lege ich es in die Sonne
zum Trocknen, um es heute Abend wieder in die
Grube legen zu können. Ich muss es aber bewa=
chen, sonst ist es bald nicht mehr da...
      Am Abend wurden die Kameraden aus Nord= u.
Westdeutschland aufgerufen - wir leider nicht!
Ich bin schon wieder so erschöpft, dass ich
nicht mehr gehen kann. Später wurden wir
Sachsen und die Bayern aufgerufen, sodass wir
plötzlich etwas Hoffnung hatten - es war aber
leider nur eine "Zählung" ......
      Es fing schon wieder an zu regnen und nach=
dem er vorüber war, musste ich die Wände meiner
Grube abkratzen und den Boden damit bedecken,

um nicht im Schlamm liegen zu müssen.
      Ein neues Rezept macht die Runde: Eine Schei-
be Weissbrot mit Zucker bestreut unter den glü=
henden Koksrost gehalten, bis der Zucker ge=
schmolzen ist, ersetzt uns den Kuchen, den es
natürlich hier nie geben kann. Auch haben wir
Ei= und Milchpulver, etwas Kaffee und Zitronen=
brausepulver mit Zucker in etwas Wasser vermischt
und streichen diese Creme auf das Weissbrot -
wir haben ja so viel Zeit und wollen uns damit
etwas Abwechslung bereiten.
      Donnerstag, 21. Juni: Der Hunger quält uns,
der Himmel ist schon wieder grau, kein Antreten,
keine Verteilung, kein Abtransport ... wir warten
und warten. Um 9 Uhr bekamen wir unsere Pup=
penstubenration - wir sehnen uns nach einem
Kommisbrot und einer Dose Fleisch, da würden
wir doch wenigstens einmal satt! Die amerikani=
schen Leckerbissen in dieser Gramm=Zuteilung
können wir bald nicht mehr sehen ... Um 7 Uhr
erlebe ich eine grosse Ueberraschung: heimlich
nimmt mich der Zugführer zur Seite, ich soll
sofort zum Blockleiter kommen. Dort erhielten
wir Schwächsten und Kranken eine dicke, süsse
Milchsuppe mit 3 Feigen. Das ist die Suppe,
die in der Küche selbst gegessen wird. Sie
schmeckte wie Sahne und es mag wohl ein ganzer
Liter gewesen sein. Und wir bekommen immer diese
dünnen, fast wie Wasser. Ich habe mich natürlich
herzlichst bedankt, aber die Freude wurde so=
fort wieder getrübt, da es die ganze Nacht hin=
durch goss und wir wieder unsagbar durch das vie=
le Wasser und den Schlamm leiden mussten.
      Freitag früh 1/2 5 mussten wir wieder zur Zäh=
lung antreten und es war wirklich eine grosse
Anstrengung für uns, hinunter ins Tal zu gehen.
da man dauernd in dem tiefen zähen Schlamm stek=
ken blieb und nicht wusste, wie man vorwärtskom=
men sollte. Die Bayern durften sogar zur Durch=
schleusung gehen und haben die Aussicht, abtranspr=
tiert zu werden. - Wir müssen nun alle unsere
Blechgefässe säubern, denn sie sind voll Schlamm
und Schmutz. Plötzlich mussten auch wir Leipziger

uns fertigmachen und auf Abruf bereithalten.
Wir bekamen noch eine dünne Spinatsuppe und
200gr Brot, sonst überhaupt nichts weiter
dazu. Unsere Anzüge sind noch furchbar nass, wir
können aber nichts an den Zaun hängen, da
die Amis schon wieder die am Zaun hängenden
Sachen angebrannt und zerfetzt hatten.
      Am Mittwoch durften wir endlich unsere Löcher
verlassen und wandern einen Kilometer nach dem
anderen bis herunter zum Stabszelt, ohne dass
wir auch nur die geringste Marschverpflegung
bekommen hätten. Wir mussten sogar bis zum
Sonntag hungern, das Fragen und Bitten war über=
all völlig vergeblich.
      Nun mussten immer 5 Mann in das Zelt treten
und wir bekamen unsere Entlassungsscheine. Wir
sollten auch 40 M bekommen, die man uns verspro=
chen hatte, aber auch hier hat uns der Ami wie=
der nicht Wort gehalten. Anschliessend lagen
wir stundenlang untätig auf einer Wiese und es
geschah überhaupt nichts mehr. Wir pflückten
uns einige Kornähren und assen die Körner, um
den quälenden Hunger nur etwas stillen zu
können. Wir mussten dann noch durch einige
Ami=Zelte hindurch zur Überprüfung und wurden
gegen 9 Uhr abends verlesen, um mit LKW nach
Bingen gebracht zu werden. Obwohl wir doch nun
keine Gefangenen mehr waren, mussten wir wieder
in ein großes Lager hinter Stacheldraht - auch
hier nur blanke Erde und keinerlei Verpfle=
gung! Ich machte wieder den Dolmetscher und
erkundigte mich, wann wir etwas zu Essen bekämen?
Ich erhielt aber nur die Antwort: "Ihr seid
nicht angemeldet!" Der Weg zu dem Camp A7,
wo wir lagern sollten, war so sehr weit, dass
ich kaum noch gehen konnte. Viele blieben zurück
und wir wurden dafür sehr schlecht behandelt.
Mitleid kannte der Ami mit uns erschöpften Men=
schen überhaupt nicht.
      Mühsam schleppte ich mich bis an irgendeine
Grube uns schlief wie ein Toter sofort ein.
Ich musste unwillkürlich an die afrikanischen
Fremdenlegionäre denken, so ungefähr stelle ich
mir die Strapazen in der Wüste vor.

Sonnabend, 23. Juni: Wir essen nur noch von den
Körnern, die wir uns vorsorglich aufbewahrt ha=
ben, um den peinigenden Hunger nur einigermassen
ein wenig zu betäuben. Mit Hilfe eines Eimers
Wasser konnte ich mich etwas säubern, um den
Schmutz des Lagers Kreuznach wenigstens etwas
loszuwerden. Verpflegung gibt es auch heute
nicht.... Ein Transportzug nach dem anderen
fährt an unserem Lager vorbei, wird wohl einer
einmal auch für uns hier halten? Um 11 Uhr treten
wir an, aber im Nu ist der Zug voll und wir
müssen wieder auf den Platz zurück. Enttäuschung
und Verzweiflung erfasst uns Zurückgebliebenen,
denn wir können es ja garnicht mehr erwarten,
wieder ein Mensch zu sein.
      Endlich um 14 Uhr - die Stunden werden uns
zur Ewigkeit - dürfen wir LKWs besteigen, auf
jeden kommen 95 Mann! Nun begann eine schnelle
Fahrt durch das deutsche Land - durch Mainz,
Frankfurt, Giessen und immer weiter nordost=
wärts. Es sind etwa 30 Wagen. Die Amis sagen,
sie müssen uns bis morgen früh 5 Uhr fahren
die ganze Nacht hindurch ohne Pause und ohne
Verpflegungsstationen.... Als wir durch Hers=
feld fuhren, hatten wir auf der Landstrasse
direkt an dem berüchtigten Lager Hersfeld,
in welchem wir vor 2 Monaten schon gehungert
hatten, eine Panne, die eine Stunde Halten ver=
ursachte. Wir hatten grosse Angst, dass man
uns noch einmal dorthinein sperren würde, aber
Gott sei Dank ging es weiter in schneller Fahrt.
An den Kurven sahen wir, wie die Wagen vor uns
jedes Mal nur auf 2 Rädern fuhren, man musste
auch diesmal wieder denken, sie müssten jeden
Augenblick umkippen. Die Negerchauffeure fuhren
wie die Wilden, es waren ja auch nur Deutsche
auf dem Wagen....
      Am Sonntag früh 5 Uhr kamen wir in E r f u r t
an und mussten auf dem Kasernenhof liegen,
wieder in Schlamm und Dreck wie bisher. End=
lich bekamen wir zu Essen und zwar Grützsuppe
und Marmeladenbrot mit Kaffee. Heisshungrig
verschlangen wir dieses Frühstück und ich hätte
mir gerne von der anderen Seite aus noch einmal

eine Portion holen mögen, habe aber den Mut
nicht gehabt, da wir schon genug erdulden mussten
und bei der geringsten Kleinigkeit von den Amis
Fusstritte und Kolbenstösse erhielten.
Wir sitzen nun stundenlang herum und warten.
Wir haben nur den einen Gedanken: Abtransport
nach Hause!
      Mittags gab es eine schöne dicke Suppe mit
Bohnen und Fleisch - ein Unterschied wie Tag
und Nacht gegen die Kreuznacher Wassersuppen.
Solches Essen habe ich 9 Wochen nicht gesehen.
Ich bin so verhungert, dass ich mir mehrmals
holen musste und bin endlich einmal richtig
satt.
      Gegen Abend sagte man uns, heute gehen keine
Transporte mehr ab und wir sitzen nun da mit
unserer grossen Sehnsucht nach Hause und mit
ebenso grosser Enttäuschung! Auf eigene Faust
habe ich mir in einem Kasernengebäude ein Zim=
mer gesucht und eine Bettstelle entdeckt, al=
lerdings ohne Strohsack - aber es war wenig=
stens nicht mehr im Freien und auf der schmutzi=
gen harten Ackererde. Ich fühle mich wie im
Himmel - seit 2 Monaten das erste Dach
über dem Kopf! So etwas gibt es also doch noch.
Beim Herumsuchen fand ich ein klein wenig Holz=
wolle, die ich mir unter den Rücken legen konn=
te und so verbrachte ich die erste Nacht in
einem richtigen Zimmer so wunschlos glücklich,
dass ich garnichts davon gemerkt habe, dass es
draussen schon wieder vom Abend bis zum Morgen
tüchtig geregnet hatte. Nun war ich dieser
Nässe nicht mehr schutzlos ausgesetzt - nun
brauchte ich nicht mehr stundenlang, nächtelang
im Schlamm und Morast ruhelos umherzuwandern
und vor Erschöpfung umzufallen, diese Qualen
hatte nun ein Ende gefunden! Vor dem Schla=
fengehen habe ich mir noch eine Mahlzeit geholt
und gleich im Speisesaal noch eine solche an Ort
und Stelle mir einverleibt, ich konnte ja gar=
nicht genug kriegen und man wusste einfach
nicht, wann man satt war.

Ich glaube, das kann uns garniemand nachfühlen.
wie glücklich wir sind, dieser Hölle von
Kreuznach entronnen zu sein. Ich bin nun kein
Gefangener mehr, kann aber nicht vergessen,
was die Amis an uns in Kreuznach gesündigt haben.
Ob wir wohl morgen zu Hause sind?
      Montag, den 25. Juni: Hier brauchen wir
wenigstens nicht mehr zu hungern. Ich konnte
heute zweimal frühstücken. Aber einen Nachteil
hat das gute und reichhaltige Essen doch für
uns: Es macht sich sofort bei vielen Kameraden
heftiger Durchfall bemerkbar, wir sind es eben
nicht mehr gewöhnt und hätten unseren Magen
erst ganz allmählig an das bessere Essen ge=
wöhnen müssen. Ich komme stundenlang garnicht
mehr vom WC herunter. Und trotzdem holen wir
uns immer wieder Portionen, wir haben eben in
dieser Beziehung die Vernunft verloren, das
Aushungern von Kreuznach hat uns so gemacht.
      Wir stehen nun schon wieder den ganzen Vor=
mittag auf dem Platz im Regen und meine Decke
tut mir als Regenumhang gute Dienste. Das Mittag=
essen ist vorüber und wir sitzen immer noch
auf dem Kasernenhof und warten.... Um 13 Uhr
wurden Passierscheine verteilt, mit denen wir
zu Fuß nach Leipzig gehen sollten. Haben denn
die Amis den Verstand verloren? Wer 2 Monate
gehungert hat und durch die in diesem Bericht
beschriebenen Qualen so erschöpft ist wie wir,
glauben die denn, dass ein solcher ermatteter
Mensch die weite Strecke von Erfurt nach Leibzig
zu Fuss zurücklegen kann? Und dann hätten wir
unterwegs überall betteln müssen wie Landstrei=
cher, und der Bevölkerung bei der schon so
knappen Rationierung zur Last fallen müssen,
denn es gab weder Entlassungsgeld noch Marsch=
verpflegung. Wir hatten immer noch Hoffnung,
dass evtl. noch ein LKW fahren würde, der uns
endlich bis nach Hause bringen würde.
      Am Nachmittag kam ein Wagen, auf dem Nach=
richtenhelferinnen und Sanis, sowie Kriegs=

beschädigte nach Leipzig gebracht werden soll=
ten. Ganz zum Schluss bin auch ich hinaufgeklet=
tert, aber in dem Augenblick, als ich ein Bein
über die Rückklappe heben wollte, riss mich
ein Ami, als der Wagen schon anfuhr, herunter
und schleuderte mich auf den Abhang, obwohl
er sah, dass ich Stockträger war, die doch
bevorzugt abtransportiert werden sollten. Ich
konnte mich natürlich nicht wehren, denn wir
waren ja bereits seit 27. April dauernd den
Brutalitäten der Amerikaner widerspruchslos
ausgesetzt. Als ich mich ein wenig erholt hatte,
setzte ich mich wieder auf den Kasernenhof
zu den noch übriggebliebenen Kriegsversehrten
und wir liessen wieder 50 Mann zusammenkom=
men - aber diesmal schrieben wir namentliche
Listen, die wir dem Ami-Transportleiter mit
der Bitte um einen LKW überreichten mit dem
besonderen Hinweis, dass es sich doch hier
fast um lauter Amputierte handelte, die sich
nicht so schnell bewegen konnten und daher
übrig geblieben waren, während die Gesunden
und Beweglichen fast alle schon auf der Fahrt
nach Hause waren.
      Es geschehen doch noch Wunder: Um 16 Uhr
wird uns befohlen, in Fünferreihe in Richtung
Schlafgebäude zu marschieren. Wir müssen anneh=
men, dass wir immer noch eine Nacht oder länger
hier verbringen sollen. Aber plötzlich ste=
hen wir vor einem grossen LKW, dessen hintere
Wand heruntergeklappt ist und nun wird sogar
für uns extra noch eine kleine Leiter ange=
legt - wir können es jetzt kaum fassen, dass
wir tatsächlich den Wagen besteigen dürfen.
Fast 5 Stunden dauert die Fahrt in die Heimat.
In Eckartsberga warf uns eine Bäckermeisterin
Brote in den Wagen, aber bei so viel Menschen
bekam man ja nur ein kleines Stück. An Marsch=
verpflegung hat der Ami auch in Erfurt nicht
gedacht, ihm war es gleichgültig, ob
wir unterwegs zu essen hatten oder nicht. Dass
in Kreuznach etwa 13000 Mann infolge Hungers
gestorben sind, interessierte ihn ja auch nicht.

Am Montag, den 25. Juni 1945 abends 1/2 9 Uhr
trafen wir in Leipzig vor dem Hauptbahnhof ein.
Als wir abgestiegen waren, blieben wir erst noch
stehen, wir wussten nicht, ob wir nun heimgehen
durften. Das Leben als Gefangener war uns so
in Fleisch und Blut übergegangen, 2 Monate ohne
jeglichen eigenen Willen, dass wir es garnicht
wagten, jetzt einfach wegzugehen. In englischer
Sprache fragte ich den amerikanischen Begleiter,
ob wir nun nach Hause gehen dürften, was er be=
jahte. An der Roten=Kreuz=Baracke baten wir um
Suppe und Brot, was uns aber verweigert wurde!!
      Nun ging ein jeder in seiner Richtung nach
Hause.... Dieser Weg nach der Jonasstrasse ist
mir noch sehr schwer geworden, denn ich war durch
das 8 1/2 wöchige Martyrium so erschöpft, dass ich
froh war, als ich an unserer Wohnung angelangt
war. Den Empfang will ich nicht beschreiben -
er war so, wie er nicht anders sein konnte, da
doch niemand wusste, ob wir überhaupt noch leben.
84 Pfund wog ich nur noch, als ich zu Hause ankam.
      Ein sehr trauriges Kapitel ist hiermit been=
det, eine grosse Kulturschande, die die Ameri=
kaner hätten vermeiden können, wenn sie so ver=
nünftig gewesen wären, wenigstens den Kriegs=
versehrten die Qualen einer s o l c h e n Ge=
fangenschaft wie in K r e u z n a c h zu er=
sparen! Die körperlichen Folgen müssen wir
nun noch jahrelang erdulden bei knapper Ernäh=
rung und ich selbst habe noch 1/4 Jahr ärztliche
Hilfe in Anspruch nehmen müssen, bevor ich
wieder arbeitsfähig war. Und das haben Tausende
und Abertausende in Kreuznach erdulden müssen -
wogegen ich von vielen deutschen ehemaligen
Kriegsgefangenen, die aus Russland heimgekehrt
sind, gehört habe, dass sie dort Baracken,
Betten, Tische und Stühle und wenigstens 3 mal
am Tag einigermassen essbare Mahlzeiten be=
kommen haben. So können wir sehen, dass der Rus=
se tausendmal menschlicher gehandelt hat als der
Amerikaner, der so hoch stehen will im Reigen
der Völker.

      Zu dem Inhalt dieses Buches muss ich ausdrück=
lich bemerken, dass dieser Bericht in jeder
Hinsicht absolut den Tatsachen entspricht
und in keiner Weise irgendwelche Übertrei=
bungen enthält.


© Horst Decker