Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 30. November 1941

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

      Meine innigstgeliebte Annemie!
Heute ist es ein sonnigstrahlender Sonntag, der dem Herzen Wärme und Zuversicht
geben soll, all den vielen Herzen, denen es vergönnt ist, Freiheit und Ruhe zu genießen
nach den trüben Wochentagen schwere Last der Arbeit. Liebste, ach könnte ich nur
auch wieder Gottes freie Natur genießen mit Dir zusammen teilhaftig werden an dem ge-
segneten Tag des Herrn. Wie groß wäre meine Freude, wenn ich wieder mein gemütliches Zimmer
betreten könnte, mein liebes Bärle begrüßen dürfte und ganz für Dich zu leben. So muß ich hier
einsam und verlassen harren, warten - warten und wieder warten. Deine lieben Briefe sind mir so
wohltuend aufs Gemüt gerichtet; die einzige Freude, sie spenden mir stets Trost und neue Kraft.
Weder Rechtsanwalt Dr. Kartini, noch der Wehrkreispfarrer haben mich diese vergangene Woche
mit ihren Besuchen geehrte. Nur Du allein, o welches Glücksgefühl, mit Dir ein Paar Worte zu sprech-
chen - himmlisch und Deine liebe Besorgnis um mich. Ich weiß gar nicht, wie ich Dir dafür danken
soll! - Ich bin in meiner vierwöchentlichen Haft so verändert worden, daß man mich gar nicht
mehr kennen wird. Meine Lebensauffassung ist viel ernster geworden und mein Vorsatz, nur
mehr einem bescheidenen glücklichen Familienleben zu huldigen, ist mein tiefster Ernst geworden.
Ich will künftighin nur mehr mit Dir das weitere Leben verbringen. - Arbeit und Familien-
glück! Nach diesen vielen schrecklichen Jahren einer vollkommen zerütteten Ehe, will ich
den Rest meines Lebens mit Dir in Ruhe und Beschaulichkeit verbringen. Wie steht es nun
mit Deiner lieben Mutter und Rechtsanwalt Dr. Roßtäuscher in Augsburg? Hast Du sie schon von
meinem Vorsatz unterrichtet bezgl. baldige eheliche Verbindung? Haben sie schon geantwortet?
Bitte, liebe Annimie, gehe in den nächsten Tagen in meine Dienststelle (Ludwigstr. 18) und zwar
in die Zahlmeisterei zu Herrn Oberzahlmeister Albang, grüße ihn von mir und beantrage, daß er
in meiner Zahlstelle d. Postamt 3 in der Bayerstraße 12 den Ausfall meines Wehrsoldes (2/3 monatlich)
vor meiner Haft zu meinem Gehalt anfordert. Ich bekomme ja nur mehr jede Dekade, ungefähr

6,60 RM ausbezahlt also 1/3 von 20,- RMN. Da aber der Wehrsold vom Gehalt abgezogen wird, so
kann ich die 2/3 vom Wehrsold an meinem Gehalt (Civilgehalt) wiederbekommen. Ich werde selbst-
verständlich auch dem OZ. Albang noch schreiben. Das sind im Monat November bereits 40,- RM,
die mir meine Zahlstelle des Postamt 3 an meine Bank überweisen muß. Der Antrag muß von mein-
ner Dienststelle aus gehen. Vielleicht bist Du so gut und regelst meine Bankangelegenheit auch und
erkundigst Dich, wie hoch mein Guthaben z.Zt. ist. - Vor allen Dingen bitte vergiß nicht, dem Rechtsan-
walt wegen seiner Ansprüche entweder von meinem Konto oder leihweise von Deinem Konto
Geld zu überweisen. Am Besten ist es, Du gehst so bald wie möglich zu ihm und machst mit ihm
die Geldangelegenheit aus. Ich möchte nicht, daß er womöglich in dieser Angelegenheit verschnupft
wird. Ich habe ihm ja noch extra ein hübsches Ölgemälde von meinem Vater versprochen, also glaube
ich nicht, daß er unzufrieden ist. Warum wurd Dir das Letztemal so gedrückt? Das macht mich
sehr besorgt, weil ich mir denke, daß zuhause wieder etwas nicht in Ordnung ist. Ich verlasse mich
ganz auf Dich und Rechtsanwalt Kartini, daß mir von meinen Sachen nichts abhanden kommt.
Du kannst auch Kartini fragen, warum er mir auf meine vielen Briefe keine Antwort gibt und
nicht kommt. Wie steht die Sache mit der Gasrechnung. Sind hier schon Schritte unternommen worden,
wer die Gasrechnung bezahlt? Bitte gebe mir doch auf meine verschiedenen Fragen in diesem Brief Ant-
wort. Die Bisquiete waren ganz vorzüglich und schmeckten mir sehr gut. Vielleicht bekommst Du wieder
welche. Ich habe mein Ehrenwort gegeben, daß ich nie etwas von meiner Sache hier sprechen werde und
das halte ich auf alle Fälle. Es soll durch mich kein Versuch der Verdunklung gemacht werden, das habe ich
mir geschworen und das halte ich fest. Dazu bin ich viel zu gewissenhaft und Du bist auch als Juristen-
tochter gewissenhaft und sprichst auch nichts. Ich freue mich ja nur so, wenn ich Dich sehen darf und
zeige mich so dankbar, daß man das mir erlaubt. - Nun möchte ich gerne wissen, für was eigent-
lich Rechtsanwalt Dr. Kartini die Rechnung von 250.- RM gesandt hat. - Ist das für die Ehe-
scheidung oder für meine Sache. Bitte teile mir doch das so bald wie möglich mit. -
Samstag Abend habe ich Deine letzte Post von Mittwoch den 26.11. abends bekommen. Heute
ist es bereits Sonntag, wo ich wiederum nichts mehr seither gehört habe. Deine Päckchen habe ich
wohl erhalten, aber der beiliegende Brief ist noch in der Zensur. Ach Gott, ich glaube immer,
Du wirst mich vielleicht auch noch verlassen. - Wann komme ich einmal wieder heraus und
meine Sachen werden unter Umständen nach und nach von meiner Frau weggenommen.
Kein Mensch kümmert sich mehr um mich. Warum bin ich so verlassen? - Ich habe

das Gefühl, als wenn Du mich auch nicht mehr magst, wo Du doch mein ganzes Vertauen
hast und infolgedessen auch alle meine Sachen verwaltest. Meine Sehnsucht nach meinem
Heim zerschneidet mir Herz und Seele und kein Mensch will sich erbarmen. Ich möchte wissen,
wem ich so viel Leid getan habe, daß ich so viel Schmerzliches in meinem Alter noch ertragen muß.
Heute bin ich ganz melancholisch, weil ich sehe, daß man als Untersuchungsgefangener nur mehr
Mensch 2. Klasse ist. Heute Nacht war Fliegeralarm, da habe ich an Dich und Bärle gedacht und
war so besorgt um Euch, daß ich nicht mehr schlafen konnte. Du kannst Dir keinen Begriff
machen, was man da leidet. Ich glaube, wenn ich hier herauskomme, bin ich vollkommen ge-
brochen und alt geworden. Ich sehe jetzt schon meinem verstorbenen Vater, der mit 68 Jahren
das Zeitliche gesegnet hat, sehr ähnlich. Dies bemerkte ich, als ich in den Spiegel schaute und
über mein Aussehen (unrasiert) direkt erschrak. Liebe Annemie! Bitte, wenn Du mir untreu
zu werden gedenkst, bitte sage es mir doch gleich offen, dann werde ich halt mutterseelen allein
sein und muß mich dann hier einfinden, wenn auch blutenden Herzens. Es ist dies ein Gedanke,
an dem ich fast zu Grunde gehe; unfaßlich, aber man muß sich im Leben an alles gewöhnen.
Wenn ich noch jünger wäre, ja dann wäre ja alles leichter ertragbar, aber in meinem Alter
an der Grenze des Greisenalters, da nimmt man alles viel tragischer zu Herzen und da ich
an und für sich sehr weich veranlagt bin, kommen mir immer gleich die Tränen. Allein sein
auf der Welt, - der Gedanke ist fürchterlich, kaum faßbar. - Ich wollte mit Dir glücklich
werden, aber wenn mir dieses auch versagt bleibt, dann habe ich allerdings auf dieser Welt nichts
mehr zu hoffen. -
Tue mir wenigstens noch einen Gefallen und gehe noch einmal zu Kartini und bitte ihn, in
meinem Namen, er möchte doch endlich einmal zu mir kommen, damit ich Verschiedenes mit ihm
besprechen kann. Regle doch seine Ansprüche, meinetwegen kannst Du mein ganzes Bankkonto
abheben und ihm geben; nur damit ich einmal mit ihm sprechen kann. Nicht einmal schreibt
er mir oder benachrichtigt mich, wann er zu kommen gedenkt. Alle sonstigen Insassen hier, die An-
wälte haben, werden besucht von diesen nur ich nicht. Ich weiß wirklich nicht, was das zu be-
deuten hat. Nun hoffe ich auf Deinen baldigen Besuch und grüße Dich in meinem Unglück
innigst mit vielen Küssen
                  Dein Dich liebender Camillo

Schreibe mir bitte bald die Antwort auf meine Fragen. Streichhölzer!
Bitte besorge mit Stumpen vom Bauer vis a vis Rest Elefanten
und Seife.

© Horst Decker


Anmerkung der Website: Stumpen sind billige Zigarren, Elefant ist eine Rasierklingenmarke der Zeit

     


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