Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

5. Brief

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

Name: Camillo Kühles      Gef.B.Nr. 855 / Abt.55      München, den 2. August 1942



      Meine innigstgeliebte Annemarie!
Immer mehr und mehr frisst sich die mir angetane Schmach in
mein Gemüt ein, zumal ich als intellektueller Mensch mich hier
in diesen fraglichen Kreisen bewegen muss. Und noch dazu mein
Gesundheitszustand auch sehr schlecht daran ist und noch nicht
ärztlicherseits einem Heilungsprozess zugeführt worden ist. -
Warum muss ich all' dies Unglück über mich ergehen lassen? -
Manchmal bin ich dem Verzweifeln nahe, weil anscheinend
niemand mir hilft. Krank und eingesperrt, das ist des Unglücks
wahrlich zuviel. Rechtsanwalt Dr. Kartini habe ich auch bereits
geschrieben und ihn gebeten, mich so bald wie möglich zu besuchen.
Es scheint mir wieder, dass er mich wieder eine Zeitlang warten
lässt; - der Weg nach Stadelheim ist ja schließlich nicht eine Tages-
(Bite nummeriere auch Deine Briefe;)

reise. Bitte, sei so gut und veranlasse Du ihn auch eingehend, dass
er endlich baldigst zu mir kommt. Es ist dringend notwendig, schon
auch wegen der Wohnungsangelegenheit. Das Herz könnte einem
zerreißen, heute ein wunderschöner Sommertag und ich darf
keinen Anteil daran haben. O, wenn ich nur endlich einmal diese
schlimme Leidenszeit hinter mir hätte und ich wieder an Deiner
lieben Seite leben könnte! Ist denn uns gar kein Glück mehr
beschieden? Meine liebe Annemie! Warum bekomme ich so
spärlich Post von Dir? Im Ganzen bekam ich von Dir folgen=
de Briefe: 5,7,9,12,15,18, u. 22.7.42. - Wenn ich oft wochen=
lang keinen Brief von Dir bekomme, bin ich so sehr in großer
Sorge und rege mich innerlich derartig auf, was natürlich sich wie=
derum auf meinen trostlosen Krankheitszustand sehr ungünstig und
nachteilig auswirkt. - Bin ich denn ganz dem Untergang geweiht?
Wenn ich Dich nicht hätte, für die ich ganz leben möchte, hätte ich
mir fürwahr am liebsten den Tod gewünscht. - Bleib Du mir
wenigstens immer treu und gut, damit ich weiß, warum ich
lebe. Warum mußte ich die vielen Jahre hindurch mit dieser
unmoralischen Megäre verheiratet sein und warum durfte ich

Dich nicht schon lange an meiner Seite wähnen. Leider kann
ich sehr schwer und schlecht schlafen und denke immer an Dich,
wie es Dir wohl momentan gehen wird. Hat Rechtsanwalt Dr.
Roßteuscher wieder geschrieben? - Wenn sich nur Dr. Karini
mehr für mich interessieren würde und mich nicht immer solange
ohne Bescheid ließe. Ich freue mich so schon wieder auf den
Donnerstag, wo ich Dich, meine liebe Annimie wieder auf kurze
Zeit sehen kann. Du glaubst gar nicht, was dies für ein Festtag
in diesem öden Einerlei für mich bedeutet. Jeder Tag gleich. -
Morgens 3/4 6 Uhr Wecken und Waschen; 6 Uhr - 1/2 7 Uhr wieder
Bett. - 7 Uhr = Kaffee mit Brot. - Hernach zwangloses Beisam-
mensein - Lesen, Schachspielen oder andere Spiele. - 9 Uhr -
10 Uhr = Hofgang - 11 Uhr = Mittagessen - Hernach Bettgang
und Ruhe bis 14 Uhr. - Von 14 - 15 Uhr wieder zwangloses Bei-
sammensein; 15 Uhr Ausgabe der Limonade und Brotzeitma-
chen, (wenn man privat eine hat!) - hernach wieder zwangloses
Beisammensein; 3/4 18Uhr = Abendessen und hernach gleich
Bettgang; 20 Uhr = Ausgabe der verschriebenen Medikalien; dann
Nachtzeit bis anderen Tag in der Frühe. Arztvisite jeden Montag,

Mittwoch u. Freitag vormittag 1/2 12 Uhr. Jetzt weißt Du auch
unseren Stundenplan, welchen wir eintönig nach diesem Ge=
sichtspunkt täglich herunterorgeln in unserer psychiatrischen Ab-
teilung. Liebste, sei so gut und räume die Wohnung schön zusam-
men und ordne sämtliche herumliegenden Gegenstände, vor Allem
auch meine Malutensilien (Farben und Pinsel). Ich weiß ja, daß
ich mich voll und ganz auf Dich, meine liebe Annemarie, verlas-
sen kann und daß man mich wieder gesunden lassen wird und ich dann
wieder für uns Beide voll und ganz arbeiten kann. - Tue mir nur
einen Gefallen und gehe zu Dr. Kartini und erinnere ihn immer
wieder an meine Angelegenheit. Grüsse mir Max und auch Fa-
milie Kritzer vielmals und alle meine Freunde, die es gut mit mir
meinen. Wie geht es eigentlich mit Deiner Gesundheit. Warum dau-
ern die Briefe so elend lang, bitte erkundige Dich bei der Zensurstelle.
Du weißt, daß mir immer ein Brief ein großer Trost ist. - Nun bleibe
gesund und mir treu und sei für heute unzählige Male geküsst und
innigst gegrüßt von Deinem Dich ewig liebenden Milo.
Bitte schreibe mir öfter über Deinen Gesundheitszustand
und sonstige Begebenheiten zuhause!
         

© Horst Decker


     


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