Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

Name: Camillo Kühles      Gef.B.Nr. 855 / Abt.55      München, den 20. September 1942



      Meine innigstgeliebte Annemarie!
Endlich ist es mir durch den Besuch des Rechtsanwalts
Dr. Tausend in Stadelheim gelungen, Deinen Aufenthalt aus-
findig zu machen, nachdem ich vor 14 Tagen nach Hause an die
Schellingstraße einen Brief an Dich schrieb und derselbe als
dort unbekannt wieder zu mir zurück ging. Allerdings muß ich
schon mein ernstes Bedenken über die kolossale Information
des Rechtsanwalt, speziell des Vertreters Dr. Kartini in meiner
Angelegenheit zum Ausdruck bringen; ich dachte wirklich, daß
Dr. Kartini für mich mehr getan hatte, nachdem er ja immer
behauptete, daß wir nicht wegziehen bräuchten. Schließlich
und unendlich hatte ich auch meinen guten Teil Interesse an
dieser Räumungsangelegenheit, denn es ist ja mein ganzes Hab

und Gut, was hier plötzlich irgendwohin geräumt wurde. Ich hoffte,
daß Du in so dringendem Falle mich wenigstens doch informiert
hättest, aber da könnte ich noch lange warten. Dr. Tausend habe ich
nun zum mindestens zwölften Male gründlich informieren müssen
und hatte die Wahrnehmung machen müssen, daß von den An-
wälten verflucht wenig unternommen wurde. Was hat der Schlich-
tungsausschuß getan? Ich bitte Dich mich nun auf dem Laufenden
zu lassen, was Du in der Wohnungssuche unternommen hast. Ich
möchte unbedingt nach Elsaß oder Lothringen, in Colmar oder
Straßburg mich ansiedeln nur bitte Dich ... in dieser
Sache ernstlich zu unternehmen. Wo sind die Möbel und die
große Kunstsammlung (Bücher, Zinnfiguren etc. etc.) unter-
gebracht. Was macht Vogt? Hat er keine Räumlichkeit in sei-
ner Fabrikunterlage in München zur Unterstellung der Möbel
zur Verfügung gestellt? Ich bitte Dich nun eine genaue Schilderung
des Auszuges und wer Dir geholfen hat. Jetzt wohnst Du
ja bei Krigers, aber da kannst Du auch nicht immer bleiben
und was macht unsere Heirat. Ich habe viel leichteres Arbeiten
mit den Behörden, wenn Du mir verbündet bist, weil nur

ehelich angetraute Frauen das Recht haben alle 4 Wochen zu
schreiben, obwohl wir wie Verheiratete unser Vermögen bereits
zusammen vermengt haben. Schließlich und unendlich muß Du ja
jetzt solange verdienen bis ich wieder frei werde und weiter für Dich
zu sorgen und arbeiten. Was macht Fritz und Thea? Bitte grüße
sie mich herzlichst. Wenn ich heute wieder herauskomme, wo hast
Du meine Sachen eingepackt, Gebrauchsanzüge und Wäsche, Schreib-
sachen und sonstige Artikeln. Hast Du daran gedacht beim Aus-
zug. Bitte sende mir sofort meinen Rasierapparat in der
Blechschachtel und Rasierklingen. (12 Stück) meine Rasierseife
und den Pinsel nebst einen kleinen Spiegel. Auch brauche ich
unbedingt einen von meinen Leibriemen oder Gürtel zum Hal-
ten meiner Hose, da Hosenträger kaputt ist. Und dann bitte er-
schrecke nicht, möchte ich unbedingt einige Päckchen (50gr) Schnupf-
tabak und zwar Schmalzler oder Oberbayer. (nur keinen Gesundheits-
tabak) denn, das ist das Einzige, was mir bei unserer schweren
Arbeit in mäßigem Maße erlaubt ist. Heute habe ich einen
sehr geschwollenen Backen bekommen und kann kaum
aus dem rechten Auge sehen. Dabei habe ich auch starke

Fiebererscheinungen, besonders nachts. Ich habe oft so
trübe Gedanken verursacht durch schreckliche Träume
und in mir geht immer während der Gedanke um, daß
ich nie wieder glücklich werden sollte. Ich glaube auch nach
den Reden des Rechtsanwaltes, daß Du nicht mehr so sehr
an mir hängst. Ich bin und bleibe ein Pechvogel; ich kann
machen was ich will, mir mißglückt alles. - Besonders wollte
ich fest arbeiten und muß nun wiederum einsehen, daß ich
doch wieder besonders für Bauarbeiten nicht die genügende
Kraft aufbringen kann, trotz äußerster Anstrengung. - Auch
bitte ich Dich herzlich eine Schnupftabakdose mitzuschicken.
Hoffentlich erhalte ich endlich einmal eine Nachricht von
Dir. Die Weste d.h. Pullover von Fritz u. Unterwäsche ist gefun-
den und befinden sich im Aufbewahrungsraum in Stadel-
heim. Was ist nun mit Gag.en? Hast Du alles gut
verpackt und bist Du gut aus der Wohnung gekommen.
Wer weiß, für was es gut ist. Nun meine liebe Annemie,
nimm für heute herzinnige Küsse und Grüße von Deinem
in Sehnsucht nach die schmachtenden Milo.

Bitte spreche noch einmal mit Rechtsanwalt Dr. Kartini
nicht Tausend.

Schreibe mir Ausführliches über Vogt. u. Kirger
Fritz u. besonders über die zukünftige Wohnungsangelegenheit.
         

© Horst Decker


     


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