Brief aus dem Arbeitsdienst Lager Rhynern bei Hamm, 1.10.1943

Der Brief ist nummeriert mit (4). Ein junger Mann berichtet aus dem Arbeitsdienst-Lager Rhynern von einem Bombenangriff auf die Stadt Hagen.
Rhynern, den 1. 10. 1943

Liebe Renate!
Heute kam deine Karte (5). Ich danke Dir herzlich
dafür. Wie kommst Du eigentlich zu der Karte von
unserer Schule? Herzlichen Dank nimm auch für die
beiden Briefe, den Schreibmaschinenbrief und den letzten.
Ich war allerdings etwas traurig, als ich die Maschinen-
schrift sah; denn aus Deiner Handschrift spricht ein
so großer Teil Hand, der jetzt spürbar fehlte und den
ganzen Brief ernüchterte. Sonst ist es fast, als läge
eine Photographie von Dir vor mir, und das alles habe
ich vermißt.
Am Dienstag wird ja Euer Haus ziemlich voll
werden. - 3 ist immer noch eine überdurchschnittliche
Note. Du wirst das ja bald wieder aufholen. - Hoffent-
lich bringt Dir Dein Besuch in Wittenberg viel Freude.
Nun - 21.00 Uhr - heulen die Sirenen, - zum achten Male
während wir das Lager bevölkern.

(der Brief setzt mit neuem Datum fort)

2.3.43
Als wir heraustraten, war noch alles ruhig. Im Hin-
blick auf den vorgegangenen Alarm, war es beim Raustre-
ten schon richtig dunkel, maulten wir kräftig über die
gestörte Nachtruhe. Kaum saßen wir aber im Graben,
da blitzte ringsum die Flak auf. Dann kamen die Tom-
mies. Es waren mehr als damals am Freitag in Gießen.
Während des ganzen Alarms flogen ununterbrochen
die Maschinen über uns weg. Die Flak in Hamm fing
an zu schießen. Die Dinger platzen mit typisch hellem
Klang zum Ziel unmittelbar über uns. Um 23.30 Uhr
gab es Entwarnung. Man sprach von einem Großangriff
auf Hagen.
Die Jungmädeltage haben Euch doch bestimmt viel Erfolg
gebracht. Ihr habt ja einen tollen Grenzballkampf geliefert.
Den Tageslauf Dir ungefähr zu schildern, will ich an-
schließend versuchen:
Wir schlafen mit 16 Mann auf Bude 5 einer Holzbaracke
des Lagerss. Um 6 Uhr ist Wecken; 6.30 Uhr Frühstück, dann
folgen Unterricht, Ordnungsdienst, arbeitstechnische Schulung.
13.00 Mittagessen, bis 14.30Uhr Ruhe, nachmittags Wehrerziehung,
Sport, 17.00 Uhr Putz und Flickstunde, Apelle-, 19.00 Uhr Abendessen

21.30 Zapfenstreich. Bisher haben wir wenigstens die
17.00-Uhrnachrichten gehört. Das fällt jetzt auch flach. Radio
ist nur einer vorhanden und der steht in der Führer-
messe. Zeitungen gibt es auch nicht; wie auf dem Mond.
Die Kameraden kommen aus allen Himmelsrichtungen,
wollen fast ausnahmslos zur Kriegsmarine. Die Gesichter
sind noch sehr jungenhaft, - es kommt einen nicht recht
zum Bewußtsein, daß man Arbeitsmann sein soll.
Die Sorgen bei Euch zu Hause hören auch nicht auf.
Daß Ihr nun Nachrichten von Deiner Schwester erhalten
habt, ist ja fein, aber jetzt muß Dein Bruder wieder
so Schweres über sich ergehen lassen.
Eigentlich sollte dieser Brief nach Wittenberg gehen.
Doch er würde Dich nicht mehr dort antreffen. Du wirst
ihn deshalb in Gießen vorfinden. Sei mir nicht böse
wegen der Schreibpause, man hat uns stark unter
Druck gesetzt.
Grüße bitte Deine verehrten Eltern.
Dir, mein liebes Mädel, die herzlichsten Grüße
    von
      Deinem
          Jost

© Horst Decker