profilm.de
Quelle:

profilm.de Zeitzeugenberichte



Obige Postkarte wurde von der Jüdin Rosa Sara Schück von Wien nach Atlanta in Georgia/USA geschrieben. Der zweite Vorname 'Sara' wurde bei jüdisch stämmigen Frauen zwangsweise eingetragen, woduch belegt ist, dass die Briefschreiberin Jüdin war, denn der Umkehrschluss bedeutet, dass nichtjüdische Bürger niemals den Vornamen 'Sara' an zweiter Stelle trugen, ev. vorhandene Namen Sara amtlich ablegten.
Die Berggasse liegt im Wiener Alsergrund und hatte bereits lange vor dem Anschluss Österreichs einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil. Im Jahr 1923, dem Jahr von Hitlers Feldherrnhallenputsch und erstem Versuch einer Machtergreifung, lebten im Alsergrund Wiens rund 23.746 jüdische Bürger. Das war etwa 25,01 % der Bevölkerung.
1934, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland, die auch der NS Bewegung Österreichs erheblichen Auftrieb gab, und im Jahr in dem Hitler die Position des Reichskanzlers mit der des Reichspräsidenten in sich vereinigte, war der jüdische Bürgeranteil im Alsergrund bereits auf 19.400 Personen gesunken, was einem Anteil von 23,3% entsprach.
Direkt nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich begann dort die Verfolgung der Juden, die vorerst das Ziel hatte, möglichst viele jüdische Bürger unter weitgehender Zurücklassung ihres Besitzes zur Ausreise aus dem - nun - Großdeutschen Reich zu nötigen. Das führte dazu, dass bereits 1939 der Anteil der jüdischen Bevölkerung des Alsergrunds auf 12.191 Bürger gesunken war.
Zwischen 1938 und 1941 emigrierten von den ehemals 206.000 Juden Wiens, von denen 185.000 in der jüdischen Gemeinde organisiert waren, rund 130.000 in Länder außerhalb des Einflusses des Großdeutschen Reiches, etwa 30.000 davon in die USA.
Wer bis 1942 keine Möglichkeit hatte, das nationalsozialistische Gebiet zu verlassen, wurde von den Machthabern in eines der Konzentrationslager deportiert. Aus dem Alsergrund betraf das rund 7.242 Bürger, von denen nur 3% die Deportation überlebten.
Laut einer Opferliste der Internetseite 'www.letterstothestars.at' überlebte keines der Familienmitglieder der Postkartenschreiberin, das bis zum Datum dieser Postkarte noch im Großdeutschen Reich verblieben war, - auch sie selbst nicht.
Die Postkarte wurde von der Adresse Berggasse 31 geschrieben. Dieses Haus liegt an prominenter Stelle. In der Hausnummer 19, also nur 6 Häuser weiter, war die Praxis von Dr. Sigmund Freud, der das Haus 1938 nach Drangsalierungen durch die Nazis verließ und nach London emigrierte. Sein Haus wurde später von den Nazis als 'Judenhaus', also Sammelstelle für jüdische, aus ihren Häusern vertriebene Bürger genutzt. Bis zu 80 Bürger jüdischer Abstammung lebten gleichzeitig in diesem Haus und wurden schließlich von dort in Konzentrationslager deportiert.
Direkt neben dem Haus, in dem die Familie Schück lebte, in der Haus Nr. 33, befand sich der Verein 'Jüdische Menschenfreunde'.
Schmücks Haus selbst war Sitz der renomierten Wiener Zeitung 'Illustriertes Wiener Extrablatt', die jüdische Eigentümer hatte.

Die oben genannte Website 'lettertothestars.at' nennt 7 Opfer der Wiener Familie Schück, wobei der Name der Kartenschreiberin, Rosa Schück, mehrfach innerhalb dieser Familie vorkommt. Die beiden jüngeren Namensträgerinnen, beide 1892 geboren, also zur Zeit des Schreibens der Karte fast 40 Jahre alt, liegen sogar altersmäßig nur sieben Monate auseinander, weshalb sie beide als Kartenschreiberin in Frage kommen, während die 3. Namensinhaberin ev. die Mutter von einer der beiden ist.
Der vollständige Name der Kartenscheiberin Rosa Sara Schmück ergibt sich mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit alleine aus dem nationalsozialistischen Gesetz, nach dem jüdische Männer als zweiten Vornamen den Namen Israel und jüdische Frauen als zweiten Vornamen den Namen Sara annehmen mussten.

Der Inhalt der Postkarte, bei dem man berücksichtigen muss, dass er der NS-Zensur unterlag, und in der Tat wurde die Karte als Auslandspost mit dem Zensurstempel des 'Oberkommandos der Wehrmacht' versehen, also deren Inhalt geprüft, lässt folgenden Schluss zu.
Rosa schreibt die Karte - wahrscheinlich - an einen Bruder, der zusammen mit anderen Kindern oder Jugendlichen mit einem Sammeltransport in die USA emigriert ist. Von Rosas Familie wurden bereits zuvor Briefe an die gleiche Person Adalbert Schück geschrieben, aber bisher ist keine Antwort zurückgekommen und die Familie sorgt sich, ob Adalbert ohne Probleme bzw. überhaupt in den USA aufgenommen wurde, denn auch andere Familien haben bisher keine Antworten von Angehörigen der selben Emigrationsgruppe erhalten.
Ob verschiedene Formulierungen in dem Schreiben versteckte Nachrichten beinhalten, ist ohne weitere Kenntnisse der Familiengeschichte nicht zu klären. Man könnte der Hinweis auf das plötzlich verschlechterte Wetter als Hinweis auf eine nachteilige politische Entwicklung deuten, denn im Dezember 1939 begannen unter dem zum Sonderreferenten für die Evakuierung von Polen und Juden ernannten SS-Hauptsturmführer Adolf Eichmann die systematischen Massendeportationen von Juden aus den deutschen und deutsch besetzten Gebieten. Allerdings brach am 20. Februar 1940 tatsächlich eine geschichtsbekannte Kältewelle über Europa herein.

Schicksale der in Wien verbliebenen Mitglieder der Familie Schück

laut Website www.lettertothestars.at
Elisabeth Schückgeb. 10.10.1894Wiendeportiert am 24.09.1942 nach Litzmannstadt
Harry Schückgeb. 06.04.1926umgesiedelt nach Preßburgdeportiert am 04.06.1942 nach Zilina
ermordet am 04.08.1942
Helene Schückgeb. 29.04.1883Wiendeportiert am 11.01.1942 nach Riga
Otto Schückgeb. 06.06.1876Wiendeportiert am 16.01.1942 nach Riga
Rosa Schückgeb. 11.08.1875Wiendeportiert am 22.07.1942 nach Theresienstadt
Rosa Schückgeb. 22.05.1892Wiendeportiert am 23.10.1941 nach Litzmannstadt
Rosa Schückgeb. 28.12.1892umgesiedelt nach Preßburgdeportiert am 04.06.1942 nach Zilina

keine der aufgeführten Personen überlebte den Holocaust.

Wiedergabe des Postkartentextes:

Absender:
Rosa Sara Schück
Wien 66/9, Bergg. 31/1

Mr. Adalbert Schueck
195, Merrits Av., N.E.
ATLANTA
Georgia
U.S.A.

M.L. 25/II Es kommt jetzt gar keine
Post aber vielleicht, ich will wenigstens
hoffen, daß Ihr unsere Post bekommt,
in jedem Falle schreiben, zu berichten
ist gar nicht viel, wir sind alle reich-
lich nervös vor lauter warten & daß
natürlich gar keine Post kommt
trägt vielleicht dazu bei. Fritzi geht
diese Woche nach "Türingen" schön
nicht wahr? Mama geht es soweit
s. gut ist vollauf beschäftigte & mir
geht es schon etwas besser dabei.
Das Wetter war für jetzt sehr angenehm
aber seit gestern hat sich's gewaltig
geändert, kalt windig. Bei Luftig
die Euch grüßen lassen ist alles
gleich, von den Mädeln hören sie
auch gar nichts, wie so viele andern
von dort. Mara hat einen Posten
als M.f.A. weiß nicht, wie sie
wird machen können, aber sie
konnte nichts anderes finden, die
Schwestern lassen auch sehr grüßen

Bleibt Ihr nur gesund
das ist die Hauptsache
habt recht viel viel
herzliches allseits
besonders von

(Anmerkung der Website: der Text bricht ab,
es folgt in anderer und viel kleinerer Schrift..)

Meine Lieben!
bin eben noch bei Mama und sen-
de Euch die allerherzlichsten Küsse u.
Grüße, habt Ihr meine Freitag Karte
überhaupt lesen können. Sie war
auf dem Postamt gekritzelt, herzlich
Servus!

ausgewählte Bücher zu den Deportationsorten der Familie Schück





© horst decker